MM-Autoren

»Solange wir die Engländer schlagen ...«
5 Fragen an Andreas Bechmann

Kennen Sie Wales? Wir kannten es nicht so gut, bevor es Andreas Bechmann für uns erschlossen hat. In der Interviewreihe »MM-Autoren« erzählt der 39-Jährige, weshalb eine Reise dorthin meist in Cardiff beginnt, wie sich die Mentalität der Waliser vom Vereinigten Königreich unterscheidet und was es mit einem weltweit bekannten Bücherdorf auf sich hat, das an Walter Moers‹ Buchhaim erinnert. Und dann wären da noch die vielen historischen Eisenbahnen …


1. Sie arbeiten als Producer fürs Fernsehen und haben Ihren ersten Reiseführer herausgebracht. Warum sollte es ausgerechnet ein Buch zu Wales sein? Was verbindet Sie mit dieser Region?

Die Antwort ist eigentlich ganz einfach. Während meines Studiums wollte ich unbedingt ins Ausland. Doch meine Uni hatte nur ein halbjähriges Austauschprogramm mit Dublin anzubieten und dafür gerade mal zwei Plätze pro Jahr. Ich wollte aber unbedingt für mindestens ein Jahr etwas Neues sehen. Also habe ich mich eigenhändig darum gekümmert. Die Cardiff University und die London City University gelten als die besten britischen Universitäten für Journalismus. Dorthin habe ich mich beworben. Als beide ein Angebot schickten, entschied ich mich spontan für Cardiff. So kam ich zu Wales. Und Wales zu mir.


2. Wie lange sollte man in Wales herumreisen, um einen Eindruck von den mehr als 3 Millionen Walisern und ihrem Landstrich zu bekommen? Welche Orte und Sehenswürdigkeiten muss man gesehen haben?

Cardiff Bay, die Stadtbucht der Kapitale (Foto: Andreas Bechmann)
Cardiff Bay, die Stadtbucht der Kapitale (Foto: Andreas Bechmann)

Vom Festland reist man ja fast immer über London an und fährt dann weiter nach Cardiff. Ein paar Tage Aufenthalt in der Kapitale kann man also immer irgendwie einplanen. Warum man dorthin sollte? Es gibt gute Restaurants und Pubs, tolle Clubs mit DJs aus London oder Bristol und viel Geschichte und Architektur.
Besonders spannend und im Vergleich zu Cardiff geradezu menschenleer finde ich es neben der südlichen Westküste rund um den Milford Haven. Aber auch in den an England grenzenden Black Mountains der Brecon Beacons, einer Gebirgskette, von deren Spitzen man zu den manchmal angreifenden Briten hinüberspähte, und in einigen Gegenden von Snowdonia ist es besonders schön und faszinierend, Wales pur, Wales at its best. Gerade in Snowdonia, in jenem Nationalpark im Norden, lassen sich wie nirgendwo anders Berge und Meer kombinieren.
Als Reisedauer finde ich ganz generell zwei Wochen passend. Man kann seine Touren jedoch beliebig verkürzen oder verlängern, denn via London ist man ja sofort wieder daheim.


3. Herr Bechmann, was läuft in Wales so ganz anders ab als in England, Schottland und Irland?

Auf dem Gipfel des Snowdon, dem höchsten Berg Wales, der im Snowdonia-Nationalpark liegt (Foto: Andreas Bechmann)
Auf dem Gipfel des Snowdon, dem höchsten Berg Wales, der im Snowdonia-Nationalpark liegt (Foto: Andreas Bechmann)

Darüber könnte man Bücher schreiben, ja, Bibliotheken füllen … Erst einmal muss man das Land als Gesamtheit betrachten. Es heißt schließlich nicht grundlos »Vereinigtes Königreich«. Und Wales ist ja bereits seit 1284 und spätestens mit dem Wales Acts im 16. Jahrhundert an England gebunden. Aber Waliser, Iren, Schotten und Engländer sind trotzdem eigenständige Völker. Man muss das Land deshalb eher als Teil eines Staatenbundes denn als Bundesstaat verstehen. Dieser, oberflächlich betrachtet, recht feine Unterschied äußert sich schon in der eigenen Sprache der jeweiligen Völker, und in Wales zusätzlich in den überall aufgestellten zweisprachigen Schildern.
Wobei die Waliser auf Ihre Unabhängigkeit nicht so radikal bedacht sind wie die Iren und Schotten. Ein Volksentscheid über eine vollständige Loslösung von England würde im Augenblick sicherlich keine Mehrheit finden. Und die kleinen gewalttätigen Separatistengruppen, die es früher gab, waren mit der IRA absolut nicht zu vergleichen.
Ein dritter Unterschied besteht in des Walisen liebster Nebenbeschäftigung. In keinem anderen Teil des Königreiches ist Rugby dermaßen die sportliche Nummer 1 wie in Wales.
Und dann gibt es, der vierte Unterschied, ja noch die vielen Mentalitäten und Befindlichkeiten der Waliser. Ein berühmtes Lied der Stereophonics trägt den vielsagenden Titel »As Long As We Beat The English«, »Solange wir die Engländer schlagen« – wobei heute nur noch die sportliche »Verfeindung« der Brüderländer gemeint ist.


4. Kennen Sie »Die Stadt der Träumenden Bücher« von Walter Moers? Sieht es in Hay-on-Wye ähnlich aus wie im fiktiven Buchhaim?

Eine kleine Straße in Buchhaim, äh, Hay-on-Wye … (Foto: Andreas Bechmann)
Eine kleine Straße in Buchhaim, äh, Hay-on-Wye … (Foto: Andreas Bechmann)

In Hay befinden sich die Katakomben eher oberirdisch in Form der mit Büchern vollgestopften Regalreihen. Auch hier kann man sich immer tiefer in den Gängen verirren und in den Buchreihen verloren gehen wie in den Katakomben in Moers’ Roman. Erbitterte Kämpfe blutrünstiger Buchjäger um die kostbarsten Druckerzeugnisse finden sicherlich auch mal statt. Es gibt sehr viele Buchlinge im Ort. Der Schattenkönig von Hay ist allerdings ein kauziger und kreativer, kein grausamer Herrscher.
Richard Booth hat etwas geschafft, ja, geschaffen, wovon viele dahinsiechende Orte weltweit träumen. Mit einer brillanten Idee und Starrköpfigkeit hat er Hay-on-Wye zu einer beachteten und dem Ort wohltuenden Attraktion entwickelt und auf der Weltkarte verankert. Der »König« und seine Mitstreiter sind inzwischen in den Hintergrund getreten und die Stadt ist, wie auch im Buch, mittlerweile zum eigentlichen Helden avanciert.


5. Lassen Sie uns an Ihrem Wales teilhaben! Welches Erlebnis werden Sie immer im Kopf behalten?

Eine der historischen Eisenbahnen vor den schneebedeckten Gipfeln im Norden (Foto: Andreas Bechmann)
Eine der historischen Eisenbahnen vor den schneebedeckten Gipfeln im Norden (Foto: Andreas Bechmann)

Eines dieser einschneidenden Erlebnisse schildere ich in meinem Wales-Reiseführer: die Suche nach einem bekannten Wales-Kenner, von dem ich nur den Namen und eine grobe Ortsangabe hatte, und den ich dennoch fand – im walisischen Nirgendwo.
Eine andere, sehr angenehme Begegnung war die mit Andrew von der Welsh Highland Railway. Als Pressesprecher dieser Eisenbahnlinie erzählte er mit einem Engagement und einer Leidenschaft von »seiner« Bahn, die unbedingt ansteckend war. Irgendwann hielt er inne, sah mich an, flüsterte »Ach, was rede ich so lange« – und setzte mich kurzerhand in den Zug.
Die vorbeiziehenden Bilder der Landschaft sagten mir noch mehr als jedes seiner enthusiastisch hervorgebrachten Worte. Zudem die Waliser im Gegensatz zu den Deutschen mit richtigen Zügen »spielen«. Man stößt auf duzende historische Eisenbahnen und Schmalspurbahnen, auf zehntausende von ihnen. Wales ist eine große Eisenbahnplatte.

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