MM-Autoren

»Ich bin kein Schnellschreiber.«
5 Fragen an Marcus X. Schmid

Eine neue Rubrik erblickt das Licht der Welt. In den nächsten Ausgaben unseres Newsletters wollen wir Ihnen unsere Autoren ein wenig näher vorstellen: Was sind das für Menschen, die Reisehandbücher verfassen? 5 Fragen werden gestellt, 5 Antworten gegeben. Zunächst interviewen wir unseren Frankreich-Autor Marcus X. Schmid, den es auch schon in die Schweiz (»Graubünden«) und nach Italien (»Umbrien«) gezogen hat. Jüngst aktualisierte er seinen Reiseführer »Südwestfrankreich« (6. Auflage 2008), und derzeit arbeitet der nebenberufliche Übersetzer an einem MM-City-Guide über Sankt Petersburg.


1. Mit der Tür ins Haus gefallen: Warum wird man Reisebuchautor?

Vermutlich spielten für die meisten meiner Kollegen am Beginn ihrer Laufbahn ähnliche Interessen eine Rolle, wie meine es waren und noch sind. Ich habe schon sehr früh eine große Vorliebe fürs Schreiben und eine ebenso große fürs Reisen entdeckt und auch beides ausgiebig getan. Aus der Vorliebe wurde Liebe, und Michael Müller, in den späten 1980er Jahren noch ein Kleinverleger, den ich gelegentlich in der Kneipe sah, hat mit sicherem Instinkt diese Liebe erkannt und mir ein Angebot gemacht. So wird man Reisebuchautor. Dass die Liebesbeziehung zwischen Autor und Verleger stets ungleichgewichtig ist, schreibt Peter Michalzik in seiner Biografie über den verstorbenen Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld: Ein Verleger hat einen ganzen Harem, seine Autoren – der Autor hat nur eine Geliebte, seinen Verleger. Als Autor bin ich dem Michael Müller Verlag – abgesehen von einem Seitensprung zu einem anderen Verlag – treu geblieben. So bleibt man Reisebuchautor.


2. Viele Leser denken, dass für Sie jeder Tag wie ein kleiner Urlaub ist. Hand aufs Herz: Können Sie während Ihrer Trips wirklich entspannen?

Entschieden nein. Die Aufmerksamkeit gilt nicht dem Ich, sondern dem Anderen – der Landschaft, den Hinweisschildern auf noch Unbekanntes, möglichen Fotomotiven, neuen Infrastrukturen … stets den Notizblock griffbereit. Nach einem Arbeitstag freue ich mich auf ein Abendessen im Restaurant. Kulinarische Entdeckungen zu machen, Gerichte zu kosten, die man zuhause nicht findet, gehört eindeutig zu den schöneren Seiten des Berufs. Doch während am fröhlich plaudernden Nebentisch die nächste Weinflasche entkorkt wird, bin ich unentwegt mit Beobachtungen beschäftigt, da das Restaurant schließlich Eingang ins Buch finden könnte: Interieur, Service, Ambientes, etc. In der Regel schreibe ich auf, was ich gegessen habe, notiere meine Eindrücke, stecke eine Visitenkarte des Lokals ein, das sind beim späteren Schreiben Erinnerungshilfen. Im Hotelbett dann kontrolliert der Kopf nochmals, ob er auch nichts vergessen hat und legt sich schon den Plan für den nächsten Arbeitstag zurecht, der mit der morgendlichen Lektüre der Lokalzeitung beginnt. Bei längeren Reisen schalte ich einen Ruhetag ein, aber nicht einmal das funktioniert. Ich kann nicht einfach abschalten … und greife doch wieder zu Notizblock und Kamera.


3. Welche Fähigkeiten braucht man eigentlich als Neu-Autor?

Mein Kollege Ralf Nestmeyer hat das einmal ungefähr so ausgedrückt: Man muss mit einem Bleistift hinter dem Ohr und einem Notizblock auf den Knien linkshändig ein Auto steuern, rechtshändig eine Landkarte auseinanderfalten und dabei aufmerksam die Landschaft absuchen können, ohne einen Unfall zu bauen, statt eine 38-Stunden-Woche eine 83-Stunden-Woche in Kauf nehmen und überhaupt eine extreme Leidensbereitschaft an den Tag legen. Hinzuzufügen wäre: ein gewandter Umgang mit dem Material Sprache (sonst verzweifelt der Lektor), eine penetrante Neugier und ein hohes Kommunikationspotential (sonst erfährt man nichts). Zumindest Basiskenntnisse der Sprache des Landes sind unabdingbar, ohne Französisch komme ich in Frankreich nicht weit, in Ländern mit außereuropäischen Sprachen gibt’s – dem Kolonialismus sei Dank – immerhin oft eine Lingua franca, Französisch in Marokko, Englisch in Indien. Für ein Buch über St. Petersburg schlage ich mich derzeit mit der russischen Sprache herum. Ohne sie kann ich in einem populären Bistro nicht einmal ein Hühnchen bestellen (es sei denn ich imitiere ein Gackern). Und schließlich ist es mein Ziel, diesen stummen Russen den Mund öffnen.


4. Wie viele Bücher muss man schreiben, um als freier Reisebuchjournalist leben zu können?

Über den Daumen: 4 Bestseller oder 56 Ladenhüter. Die Autoren leben vom Verkauf der Bücher. Dieser hängt in erster Linie vom touristischen Potential der Destination ab. Ein Buch über Paris geht besser über den Ladentisch als ein Buch über Lagos, Deutsche reisen eher nach Spanien als nach Nordkorea. Ebenso wichtig ist der Verlag und seine Vertriebsstrategie. Ich kann natürlich auch ein Reisebuch im Selbstverlag produzieren und damit im Hauptbahnhof potentielle Käufer anpöbeln (»He, haste mal zwanzig Euro für mich?«). Auch das beste Buch führt also nicht zur »Freiheit« des Reisebuchjournalisten, wenn Markt und Verlag nicht funktionieren. Wenn das Buch informationsreich ist und obendrein auch noch gut geschrieben, freut sich der Leser, der Verlag gewinnt an Renommee, und ein kleiner pekuniärer Tropfen mag dann auf den Autor zurückfallen – und er kommt der »Freiheit« ein winziges Stück näher.


5. Unter uns: Wie lange benötigen Sie für ein neues Buch (mit Recherche und Niederschrift)?

Schwierig zu sagen, ich bin nebenberuflich noch als Übersetzer tätig, und da muss ich die angefangene Arbeit an einem Buch oft zurückstellen. Frühere Reisebücher müssen überarbeitet werden, auch anderes kommt dazwischen. Bei einer konzentrierten 60-Stunden-Woche, ohne andere Arbeiten, ohne Urlaub und mit einem entsprechend reduzierten Privatleben wäre ein Buch von 300 Seiten vielleicht in einem halben Jahr zu machen, ungefähr 2 Monate Recherche und 4 Monate Schreibarbeit. Ich bin kein Schnellschreiber.

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