MM-Autoren

»Der Reiz war das Neuland.«
5 Fragen an Lore Marr-Bieger

Traumberuf Reisebuchautor? Ja und nein. Zum einen reist man durch fremde Länder und erkundet die Welt. Zum anderen finanziert man die Kosten selbst und hofft auf einen Buchverkauf, der die Ausgaben halbwegs rechtfertigt. Wenn dann noch ein Krieg in jenem Gebiet ausbricht, das man gerade beschrieben hat, ist es nicht immer einfach, von seinem Traumberuf auch zu leben. Von einem spannenden und komplexen Berufsfeld erzählt unsere Reiseexpertin Lore Marr-Bieger.


1. Frau Marr-Bieger, Sie gehören zu den frühesten Müller-Autoren: Welche Gründe hatte es, dass Sie sich für den eher unsicheren Autoren-Beruf entschieden haben? Und wie haben Sie damals als Neu-Einsteigerin Ihre Recherche finanziert?

Meine Leidenschaft war es schon immer, die Welt zu entdecken und zu reisen. Ein nahe gelegenes Urlaubsziel war 1982 das damalige Jugoslawien, das ich nur vom Autoput (so hieß die Autobahn durch ehemalige Jugoslawien) auf Fahrten gen Libanon, Syrien und Jordanien kannte. Ich war beim Blick auf die damaligen General-Karten ganz erstaunt, dass es in der Adria so viele Inseln gab. Nix wie hin, dachten ich und mein damaliger Freund. Wir besuchten die Inseln Cres und Pag. Reiseführer gab es damals so gut wie keine. Die heute überall vertretenen Infostellen, die inzwischen sehr gutes Infomaterial vergeben, waren im sozialistischen Jugoslawien rar, und wenn doch existent, war ein Fragender meist nur lästig. Was es damals allerdings gab, waren wundervolle Fotobände, die mir das Land in seiner Schönheit zeigten.

Wieder in Erlangen zu Hause, war der Entschluss gereift, das sog. »Niemandsland« aufs Blatt Papier zu bringen. Den Beginn machte ich mit einem Fotografen. Meine weiteren Recherchen, die ein Jahr danach folgten, unternahm ich alleine und stockte das einst schmale Büchlein schnell auf. Zudem wanderte ich sehr gerne (was ich auch heute noch tue) und entdeckte dabei traumhafte Buchten, die ich akribisch vermerkte. Mit der Zeit entwickelte sich die »Liebe« zum Land: dieser traumhaften, teils fast unberührten Küste, die heute zwar nicht mehr ganz so jungfräulich ist, aber trotz allem noch sehr viel Natur bietet. Dann das phantastische türkis- und smaragdfarbene Meer und die schier unendlichen kleinen Kies- und Felsbuchten mit nach Harz duftenden Aleppokiefern und dem Gesang der Zikaden. Die Seitenzahlen wuchsen mit: inzwischen sind es 660, obwohl ich nicht mehr jede Bucht verrate – es muss ja auch noch Platz zum eigenen Entdecken bleiben …

Sein Hobby zu seinem Beruf zu machen, ist für einen selbst meist ein unlukratives Geschäft, da man mit viel mehr Zeit, Engagement und Herzblut an die Sache geht, als wenn man die Dinge nüchterner und mit Abstand betrachten würde: Doch so ist er eben, der Autoren-Beruf. Damals wie heute habe ich meine Reisen selbst finanziert. Als ich mit den Recherchen begann, schlief ich in meinem Auto oder unter dem herrlichen sternenübersäten Himmel, meist mit Blick auf die Milchstraße. Im ersten Jahr war ich zwei Monate und ein Jahr später nochmals fast drei Monate am Stück unterwegs, um einen Grundstock zu bilden. Heutzutage bereise ich Kroatien jährlich mindestens zweieinhalb Wochen; bei unseren dreijährigen Updates bereise ich das Land immer noch ca. dreieinhalb Wochen im Frühjahr und nochmals ca. drei bis vier Wochen im Herbst.


2. Die meisten Ihrer Reiseführer handeln von osteuropäischen Reisezielen. Was reizt Sie an diesen Gebieten besonders?

Das war der Zufall, den ich bereits erwähnte – es gab schlichtweg zu meinem damaligen Urlaubsziel nichts Brauchbares, weder Inselkarten noch gute Stadtpläne noch Infos über die Landschaft oder die Buchten. Der Reiz für mich war das absolute Neuland. Ich ließ von Einheimischen die Stadtchroniken übersetzen (damals meist alles auf Italienisch), ging zu Pfarrern, grub aus, was ich interessant fand und brachte es zu Papier. (Lacht.) Wenn es nicht ein Zeitlimit gegeben hätte, wäre ich wahrscheinlich ein halbes Jahr zur Recherche geblieben …


3. Neu hinzu kam Ihr Reisehandbuch zur Dominikanischen Republik, das inzwischen in der 4. Auflage vorliegt. Wieso diese Destination, die doch eher für Pauschalreisende interessant ist? Oder ist diese Einschätzung falsch?

Eigentlich war es die Idee unseres Verlegers, der 1997 dort seinen Urlaub verbrachte. Ich flog also mit meinem damals sechsjährigen Sohn »zum Anschauen« in den Ferien hin. Und ich weiß noch, wie ich in Santo Domingo am Flughafen stand, in einem Gewühl von Autos und Lärm – es war Rushhour, ich hatte meinen schlafenden Sohn im Arm. Am liebsten wäre ich mit der nächsten Maschine retour geflogen. Dabei hatte ich vorgesorgt, das Fremdenverkehrsamt angeschrieben und um einen Termin gebeten. Leider hatte das Flugzeug Verspätung. Ich kam also zum Hauptsitz der Tourismuszentrale in Santo Domingo. Der für mich zuständige Mann erklärte mir höflich, dass er nun Feierabend hätte. Es war genau 17 Uhr. Ich fragte nach Infomaterial – und bekam nach längerer Suche eine verstaubte Insel-Übersichtskarte mit einem winzigen Stadtplan darin; außerdem erhielt ich den Verweis auf eine andere Info-Stelle. Es handelte sich um eine Ranch im Landesinneren, ein damals kleiner Familienbetrieb, der sich mit Tourismus beschäftigte, d. h. Reitmöglichkeiten und Rafting-Touren anbot …

Als ich die Dominikanische Republik betrat, dachte ich keine Sekunde daran, dass ich nochmals »Neuland« betreten musste. Doch die Recherchen waren aufwändiger, zeitintensiver und unkalkulierbarer als in Europa. Bis heute erhalte ich die meisten guten Informationen zur »Dominikanischen« ausschließlich von dort lebenden Europäern, die Projekte mit viel Engagement auf die Beine stellen. Aber, zugegeben, das sind auch Klagen auf hohem Niveau! Denn die Dominikanische Republik ist sehr abwechslungsreich und viel zu schade für einen Nur-Pauschal-Urlaub. Wer per Bus das Land durchreist oder sich einen Mietwagen nimmt, entdeckt die herrlichen, unterschiedlichen Landschaften, Orte und Städte mit ihrer Kolonialarchitektur. Die kilometerlangen Strände zählen für mich zu den weltschönsten. Im Inland steigt die Bergwelt bis über 3.000 Meter an, d. h. man kann anspruchsvolle und ausgiebige Trekkingtouren unternehmen, aufgrund der quer laufenden Makadamstraßen sind auch Mountainbiketouren ein Genuss. Sogar zu Pferd ist das Inland bestens zu erkunden. Auf den Flüssen bieten sich Kajak- und Rafting-Touren an. Und: Die Menschen sind sehr freundlich und hilfsbereit.


4. Vor Jahren haben Sie das Reisebuch »Jugoslawien« recherchiert, als just der Krieg ausbrach. Wie geht man mit dieser Erfahrung um? Nicht nur, dass die langwierige, aufwändige Recherche umsonst war – auch die Menschen, die in diesem Land gelebt haben, sind einem ja ans Herz gewachsen.

Es war schon ein gewaltiger Einschnitt, aber die politische Umwälzung hatte sich bereits in den Jahren vor Kriegsausbruch langsam vollzogen. Nachdem endlich wieder Frieden einkehrte – die Bevölkerung hatte genug gelitten! –, begannen die Recherchen von vorne. Museen, Galerien, Kirchen, Klöster, Ausgrabungen – alles Dinge, die in einem sozialistischen Land keine Bedeutung hatten, verpönt waren – wurden aufwändig renoviert bzw. schossen aus dem Boden, als hätten sie auf diesen Moment gewartet. Die Kriegsschäden sind schon lange behoben, die Städte prunken prachtvoll und modernisiert – die Kroaten haben ein gutes Händchen dafür, Altertum und Moderne zu verbinden.


5. Was war Ihre schlimmste, was Ihre schönste Erfahrung als Reisejournalistin?

Meine schlimmste Erfahrung habe ich schon beschrieben. Sie spielte in Santo Domingo, als der für mich zuständige Mann mir erklärte, er habe jetzt Feierabend. Und ich mitten in einer Millionenstadt stand, ohne Stadtplan und irgend etwas Sinnvollem und dazu noch mit meinem sechsjährigen Sohn. Nun … irgendwie schafft man’s.

Sehr viele schöne Erfahrungen hatte ich in all den knapp 30 Jahren, in denen ich diesem Beruf nachgehe. Eine blieb mir besonders hängen, als ich auf der Insel Brac in Milna in das Informationsbüro kam und eine Frau mit meinem »ersten Büchlein« in der Hand dastand. Als sie mitbekam, dass ich die Autorin war, kamen wir sogleich ins Gespräch. Das »Büchlein« begleitete sie und ihren Mann langjährig mit ihrem Boot über die Adria: Es war ihre »Bibel«. Ein völlig zerfleddertes Buch sah ich, aber mit »Liebe« eingebunden. Das Paar war so begeistert, diesen Menschen kennenzulernen, der »ihre« Landschaft genau so empfand wie sie selbst, dass der Abend in der Konoba (einem jener typischen kleinen Restaurants an der kroatischen Küste) sehr lang und herzlich wurde.

Passend dazu