On Tour

Das perfekte Foto

Unsere Glosse »On Tour« geht in die nächste Runde. Diesmal gibt sich Amerika-Kennerin Dorothea Martin die Ehre. Während der Überarbeitung ihrer aktuellen Neuauflage »New York MM-City« (2. Auflage 2009) war sie neben unzähligen reisepraktischen Tipps und Tricks auch auf der Suche nach guten Fotos. Doch so einfach wie es klingt – in New York hat man ja ständig gute Motive, könnte man meinen -, so schwierig ist es auch. Denn Frau Martin hat nicht mit den typischen New Yorker Anrufbeantwortern und der Lust der Amis auf einen Rechtsstreit gerechnet. Schon die Angst davor bringt manchen, eigentlich gut gemeinten Plan ins Wanken …


Wenn man Anselm Adams, einem der beliebtesten Landschaftsfotografen Amerikas, glauben soll, dann sind »zwölf gute Fotos in einem Jahr eine gute Ausbeute«. Also wirklich: Wer braucht noch Ermutigung, wenn er Anselm Adams kennt? Ich ignoriere ihn. Denn mal abgesehen von Ermutigung brauche ich vor allem gute Fotos, eine Menge guter Fotos sogar. Denn nur wenige Städte leben so sehr von Bildern wie New York. Drum will ich damit in meinem Reiseführer klotzen, Mr. Adams hin oder her. Mindestens zwei perfekte Fotos sollen an diesem Tag entstehen: Das Foto der Freiheitsstatue vor blauem Himmel, was so oft die Buchcover ziert, und der Blick über New Yorks Skyline rüber zum Chrysler, Sie kennen das bestimmt …


Besser mit der PR-Abteilung sprechen!

Die Freiheitsstatue zu knipsen ist ein Klacks – wenn denn das Wetter passt. Juhu, es passt! Morgens hin, dann steht die Sonne richtig, und knipsen, bis die Linse glüht. Das erste gute Foto ist bald im Kasten. Pah, Anselm Adams, Du wirst schon sehen!
Ich fahre zur 33rd Street, jetzt ist das Empire State Building mein Ziel. Von hier stammt das Bild der Skyline mit dem Chrysler. Dank meines New-York-Passes, eines genialen Tickets, mit dem ich in 6 Sehenswürdigkeiten verbilligt und ohne Schlangestehen komme, darf ich also die Schlange überspringen, die Sicherheitskontrolle muss aber auch ich passieren. Mein Hab und Gut wird durchleuchtet, ja, ok, die Tasche kann ich gern öffnen. No, sorry, bedauert der Herr in Uniform sogleich, das Stativ kann leider nicht mit auf die Aussichtsplattform. Nichts zu machen, auch mein Presseausweis will ihn nicht erweichen. Wenn ich wirklich mit Stativ nach oben möchte, soll ich mit der PR-Abteilung sprechen, ob ich das denn nicht wüsste? Fair enough, ich sehe das ein und steige ohne Stativ in den Fahrstuhl. Mit Hilfe von Brüstung und Geländer gelingt das Foto auch so. Aber wäre das Bild im Dunkeln nicht viel schöner?
Auf dem Rückweg bitte ich um eine zweite Auffahrt – wenn’s ginge diesmal bei Nacht. Logisch, auch das muss mit der PR-Abteilung vereinbart werden, versteht sich ja irgendwie von selbst.


Der Kampf mit dem Anrufbeantworter. Die Gefahren eines Stativs

Schon gut, aus der Telefonzelle wähle ich die Nummer. Nach kurzem Tuten geht ein Anrufbeantworter ran. Herrje, wie konnte ich das bloß vergessen? Das ist in Amerika ja IMMER so. NIE, wirklich NIE, nimmt mal ein Sachbearbeiter selbst den Hörer ab. Im Gegensatz zu Deutschland. Da sagen sie allerdings jedes Mal: »Also dafür sind wir nicht zuständig …« In New York dagegen ruft man wirklich zurück, aus Prinzip und ganz grundsätzlich. Nur: Wie, wo und wann soll das denn bei mir was werden? Ich bin pausenlos auf Achse. Wohl oder übel zeige ich Biss und probiere es wenig später erneut. Noch mal Pech, natürlich. Erwartungsgemäß ertönt das Band, und ich weiß doch nicht, was ich sagen soll. Verflixt noch mal, was nutzen mir hier Stativ und Kamera? Alles, was ich brauche, ist ein Handy!!
In einer Drugstorekette werde ich fündig: ich zahle 20 Dollar für ein pay-as-you-go und erspare Ihnen die Einzelheiten – irgendwann funktioniert es einfach. Ich wähle erneut die Nummer und weiß endlich, was ich sagen soll.
Auf den Rückruf muss ich nicht lange warten. I see, sure, no problem, nur eine kurze Mail möge ich bitte schicken, und dann darf ich auch bei Nacht auf den Turm. Wie bitte, mit Stativ? Oh no, das ist nun wirklich impossible. Sorry, aber health and safety, die angelsächsischen Sicherheitsvorschriften: Es könnte ja jemand durch die drei Teleskopbeine zu Schaden kommen. Zwar scheint das Risiko äußerst klein – die Lust der Amerikaner auf einen Rechtsstreit ist dafür umso größer.
Ich muss also kommen, wenn der Wolkenkratzer geschlossen ist. Gerne doch, um halb zwei Uhr morgens wäre wirklich super. Great, vielen Dank noch mal! Vielleicht sollte ich dann einfach bis zum Sonnenaufgang bleiben …


Wer hat das Licht ausgemacht?

Hundemüde erscheine ich zur verabredeten Zeit am verabredeten Ort. Alles läuft nach Plan, die Security weiß auch Bescheid. Oben angelangt, schraube ich meine Sony aufs Stativ und schwenke sie in Richtung Osten über das strahlend helle Häusermeer. Bis dahin, wo eigentlich das Chrysler steht. Nanu, es muss doch irgendwo sein? Ganz bestimmt steht es dort, es war ja vorhin noch da. Nur leider sieht man es jetzt nicht! »Damn it«, so ein Mist! Es sind alle Lichter aus, und zwar seit Mitternacht!
Anselm Adams, Du hast gewonnen!

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