On Tour

Kafka in der Kurverwaltung

Die Autoren eines Reisebuchverlags haben es nicht immer leicht. Es gibt unzählige (Recherche-)Steine, die ihnen in den Weg geworfen werden. Um ein Müller-Buch zu verfassen, muss man (leider) nicht nur gut schreiben können, sondern sich auch ein dickes Fell zulegen. Denn nicht immer sind die Menschen, die man um Hilfe bittet, zur Hilfe bereit. Manchmal, wie im Falle von Sven Talaron, Autor der Reisehandbücher »Ostseeküste – Mecklenburg-Vorpommern« (4. Auflage 2012) und »Rügen« (3. Auflage 2011), gilt es eine geheime Botschaft zu entschlüsseln, die mindestens so schwer zu durchschauen ist wie der »Prozess« von Kafka. Dabei befand sich der Reisejournalist eigentlich nur im Touri-Büro einer kleinen Stadt …


Eine Parabel Franz Kafkas berichtet von einem Mann, der in eine fremde Stadt kommt und einen Schutzmann nach dem Weg fragt. Doch der Schutzmann gibt die irritierende Antwort: »Gib’s auf.«
Wir, die Autorinnen und Autoren des MMV, setzen viel Zeit, Arbeit und Mühe daran, unseren Lesern solche ernüchternden Erfahrungen zu ersparen, indem wir reichlich praktische Informationen zusammentragen. Bei unserer Arbeit aber geraten wir oft genug selbst in Situationen, für die unser Wortschatz nur noch das schöne Wort kafkaesk zu Verfügung stellt. Schwierigkeiten begegnen einem natürlich dort, wo man es am wenigsten erwartet. Zum Beispiel in der Tourist-Information der kleine Gemeinde A.: Ich stelle mich vor und frage nach den Öffnungszeiten des Informations-Büros. Die Dame sieht mich mit großen Augen an und sagt: »Da sprechen sie besser mit dem stellvertretenden Kurdirektor.«
Nicht, dass es sich nicht vorzüglich mit stellvertretenden Kurdirektoren über die Zukunft des Tourismus im Allgemeinen und der Region im Besonderen parlieren ließe. Aber eigentlich wollte ich nur die Öffnungszeiten der Tourist-Information.
»Ja, nein, da sprechen Sie lieber mit dem stellvertretenden Kurdirektor. In diesen Reiseführern steht immer soviel Mist drin.«
An derart ermunternde Worte aus den Touristenämtern gewöhnt man sich. Hier eine Liste beliebter Antworten: »Liest das jemand? Das könnte ich auch mal machen. Das Buch ist doch viel zu teuer. Das kauft hier keiner.« Undsoweiterundsofort. Heute also: »Da steht immer soviel Mist drin.«
Ich lüpfe eine Augebraue und frage nach. Ob die Dame denn den Eintrag zur Gemeinde A. in diesem Reiseführer und die von ihr angesprochenen Fehler gerade präsent hätte?
Die Dame rudert zurück. »Nun, da steht so generell viel Mist drin, nicht speziell bei Ihrem.«
So generell nicht speziell bei meinem … nungut: »Die Öffnungszeiten?«
»Nein also, es wäre besser …«
Ich ahne es: der stellvertretende Kurdirektor.
Die Dame aber packt noch einen drauf: »Oder besser, sie schicken uns eine Kopie und wir korrigieren den Text.«
Meine Geduld ist aufs Ärgste angespannt.
»Nein«, antworte ich, freundlich, aber bestimmt. »Nein, so etwas machen wir grundsätzlich nicht. Schließlich erwarteten unsere Leser keine glatt gebügelten hochglanz-broschüren-tauglichen Texte. Wir bestehen bewusst auf unsere Unabhängigkeit. Behalten uns auch kritische Bemerkungen vor. Und werden uns mit Sicherheit nicht vorschreiben lassen, was wir zu schreiben haben.« Von diesem kurzen Ausflug in journalistische Standards zurück zum Handwerk, bitte ich erneut um die Öffnungszeiten.
»Also, da muss ich meine Kollegin holen. Allein will ich das nicht verantworten.« Ich verkneife mir eine Bemerkung zur Sinnhaftigkeit von Öffnungszeiten, die offensichtlich geheim gehalten werden sollen, und lächle, freundlich und aufmunternd.
Es dauert nicht lange, und die Dame kommt mit einer Kollegin im adretten Kurverwaltungskostüm zurück.
Ich stelle mich vor und frage nach den Öffnungszeiten des Informations-Büros.
Ich bekomme zur Antwort: »Also da wenden Sie sich besser an den stellvertretenden Kurdirektor.«
Nun frage ich doch, was es mit diesen geheimnisvollen Öffnungszeiten auf sich hätte.
»Nein, nicht geheim, aber in diesem Fall …«
»Das hat was von Kafka«, murmle ich vor mich hin.
»Kafka?«, sagt die erste Dame, »ja, Kafka hat hier auch Urlaub gemacht«, dann spitz, triumphierend: »Wussten Sie das etwa nicht?«
Ich wusste es. Er scheint nie abgereist zu sein. Ich geb’s auf.

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