Reportage

700 Kilometer durch ein weitgehend unbekanntes Land.
Eine Fahrradreise durch die Slowakei

Wenn man nach einem besonderen Individual-Reiseziel sucht, steht ein EU-Neuling ganz oben auf der touristischen Landkarte: die »Slowakei« (1. Auflage 2007). Viele regionale Geschichten haben Reisebuchautor André Micklitza und seine Frau gesammelt: So gibt es zum Beispiel ein steinernes Liebespaar, das von frisch Verliebten im Winter mit Schal und Wollmütze bedacht wird. Außerdem befindet sich der höchste gotische Altar der Welt in Levoca. Dass das kleine Land mit den hohen Bergen aber auch ein echtes Kinderparadies sein kann, beschreiben die beiden überzeugten Radfahrer mit viel Lokalkolorit und Laune.


Wer mühsam die Berge hinaufstrampelt, merkt, dass die Kleinen Karpaten so klein gar nicht sind. Außerdem reifen zu ihren Füßen in Pezinok die besten Weine der Slowakei. In der Weinstube Matyšák wird der hauseigene »Grüne Silvaner« ausgeschenkt, dazu gibt es Kartoffelpuffer mit Gänseleber. Der Rebsaft schmeckt ausgewogen fruchtig und erinnert an einen Obstgarten. Die edlen Tropfen entlang der Kleinkarpatischen Weinstraße lagern oft noch in jahrhundertealten Kellern kleiner Winzerhäuser. Viele Weine könnten sich durchaus mit der internationalen Konkurrenz messen, sind in Deutschland aber weitgehend unbekannt.

Der weltberühmte Krückenbrecher von Pieštany. (Foto: Kerstin Micklitza)
Der weltberühmte Krückenbrecher von Pieštany. (Foto: Kerstin Micklitza)

Über die Stadt Trnava, wegen ihrer vielen Kirchen auch als »Klein-Rom« bekannt, erreichen wir den weltbekannten Kurort Pieštany. Die Plastik eines Mannes an der Kolonnadenbrücke, der seine Krücken zerbricht, weil er geheilt ist, steht als Symbol für viele Kurerfolge. Schon Beethoven ließ sich hier eine ordentliche Schlammpackung verpassen, heute kommt dafür extra der Formel-I-Pilot David Coulthard in die Slowakei. Im Sommer kuren überwiegend Araber, an deren Handgelenk öfter mal eine Rolex oder ein Goldkettchen blinkt; eine auffällige Sonnenbrille tragen sie alle. Meist plagen sie Gicht und Rheuma, verursacht durch den Dauerbetrieb der Klimaanlagen und die großen Temperaturschwankungen in der Heimat.


Die frisch verliebten Mädchen aus Pieštany

Auch Deutsche, die eher im Frühjahr und Herbst anreisen, schwören auf das wundertätige Thermalwasser und den hochwertigem Schwefelflussschlamm aus der Waag. Dazu scheint hier fast immer die Sonne, nur 75 Tage im Jahr lässt sie sich nicht blicken. Günter Schneider ist im Hotel Esplanade auf der Badeinsel ein gern gesehener Gast. Seit Jahren organisiert er Kurreisen für deutsche Senioren. Dass wir das Land mit dem Fahrrad erkunden, betrachtet er wohlwollend. Herr Schneider kennt inzwischen viele Geschichten über den Kurort: »Am Rande des Kurparks nahe der Kolonnadenbrücke ist die Plastik eines nackten Liebespaares zu sehen. Im Winter tragen die beiden Mützen, Schals und Handschuhe, damit sie nicht frieren. Dies ist das Zeichen, dass sich ein Mädchen aus Pieštany frisch verliebt hat. Und in der kalten Jahreszeit wird das Pärchen fast immer bestrickt.«

Holzhausmalereien im Bergdorf Cicmany. (Foto: Kerstin Micklitza)
Holzhausmalereien im Bergdorf Cicmany. (Foto: Kerstin Micklitza)

Mit dieser und anderen Geschichten im Gepäck, und nach der Plünderei eines unbeachteten Kirschbaums am Straßenrand, radeln wir weiter nach Trencín mit einer mächtigen Burg. Einen Tag später landen wir da, wo Hase und Fuchs sich »Gute Nacht« sagen. Das Dorf Cicmany in den Rajetzer Bergen besitzt die sauberste Luft in der Slowakei. Und ist berühmt für über hundert mit Ornamenten bemalte Holzhäuser. Meist sind es Tiere und Pflanzen, Herzen, Sonnen oder einfach geometrische Elemente, die mit weißer Farbe auf die rohen Balkenwände gepinselt wurden. Es wird erzählt, dass die Männer die Muster an die Wände gemalt und die Frauen diese dann auf die Trachten gestickt haben. Solch schöne Unikate bewundern wir im Raden-Haus neben Fotos aus dem früheren Dorfalltag. Hier ist zu hören, dass Jungen nach ihrer Geburt auf ein Schaffell gebettet wurden, damit sie Locken bekommen und den Mädchen eine Nadel in die Badeschüssel gelegt wurde, damit sie später gut sticken konnten.


Juraj Jánošík – das slowakische Gegenstück Robin Hoods

Nur hundert Meter vom Museum gefällt die Pension Katka von Monika Kvorkova mit ebenjenen typischen weißen Motiven. Zu ihr gehören die beiden Bernhardiner Etna & Arthur von Cicmany, die jeden Gast erstmal gründlich beschnuppern und beschlecken, bevor er in das winzige, aber gemütliche Kämmerchen unterm Dach einzieht. Monika hat lange in Österreich gearbeitet, wir verstehen uns ohne Probleme.

Genussvoll radeln in der Kleinen Fatra (Malá Fatra) (Foto: André Micklitza)
Genussvoll radeln in der Kleinen Fatra (Malá Fatra) (Foto: André Micklitza)

Von Cicmany rollen die Räder lange ungestört abwärts. Ab der Einmündung auf die Hauptstraße Richtung Žilina ist der Teufel los: Vom kleinen Kurort Rajecké Teplice steigt man daher besser auf die Regionalbahn um. Auch hinter Zilina in Richtung Terchová heißt es, auf den starken Verkehr aufpassen, denn vor den Toren der Stadt bauen die Slowaken eine ihrer großen Autoschmieden, hier mit südkoreanischem Kapital und Know How. Hinter dem Autowerk wird’s wieder gemütlich und das Jánošík-Land rückt näher. Das Vrátnatal nahe dem Dorf Terchová wird von den höchsten Bergen der Kleinen Fatra umarmt. Wahrscheinlich war Gott bei der Erschaffung der Welt am 7. Tag hier vorbeigekommen – und beschenkte die Menschen mit einem seiner Meisterstücke. Im Winter sind die umliegenden Berge beliebt bei Skiabfahrern, im Sommer wagen sich Wanderer auf anspruchsvolle Touren. Darunter sind auch Pfade, die der legendäre Räuberhauptmann Juraj Jánošík, wählte, um seine Beute zu verstecken. Am Dorf Terchová trafen wir ihn: Die riesige, silbern glänzende Jánošíkstatue erinnert nachfolgende Generationen an den slowakischen Volkshelden. Wie der berühmtere englische Robin Hood erleichterte er jahrelang die Reichen und verteilte das Diebesgut an die Armen. Dabei wandte Jánošík keine Gewalt an. Die von ihm geleitete Räuberbande schwärmte zwischen Kleiner Fatra und Hoher Tatra aus, sogar im benachbarten Polen sind seine Heldentaten zu Legenden geworden. Dabei hatte er immer eine Axt mit langem Stiel, hier heißt sie »valaška«. Die gibt es heute in vielerlei Größen zu kaufen, eines der typischen Mitbringsel aus einem Slowakei-Urlaub.


Von Teufelshörnern, einem Freilandmuseum und Käsenockerln: die Besonderheiten der Westtatra

Östlich von Terchová verlassen wir das Jánošík-Land, mühen uns unter fließendem Schweiß den Bergsattel hinauf. Auf dem Pass breitet sich ein Glücksgefühl aus. Ringsum liebliche Berglandschaft, nur ab und zu quält sich ein Auto herauf, um sogleich wieder Richtung Tal zu verschwinden. Noch eine Weile geben wir uns der Höhe mit schönster Aussicht hin, dann sausen wir 15 Kilometer bergab nach Istebné und weiter nach Dolný Kubín.

Es folgt eine verkehrsreiche Strecke, die vielen Baustellen signalisieren: Das EU-Neumitglied Slowakei befindet sich im Aufschwung. Deshalb steigen wir in Dolný Kubín nochmals in die Bahn um, die uns vorbei an der Arwaburg nach Podbiel bringt. Wir radeln gemächlich bergauf, dem Dorf Zuberec entgegen, dem Touristenzentrum der Westtatra. Der westliche Teil des Nationalparks wird auch Roháce genannt, was »Hörner« heißt. Und tatsächlich ragen die Berge Ostrý Rohác und Volovec wie zwei Teufelshörner über dem 2000 Meter hohen Hauptkamm empor.
Am Fuße der Berge versteckt sich das Freilandmuseum des Arwaer Dorfes. Auf reichlich 20 Hektar wurden früher hier typische Wohnbauten, Speicher, Handwerksbetriebe und Kirchen, fast allesamt aus Holz, zusammengetragen. Dazwischen rauscht ein Wildbach, liegen Weiden, Blumen- und Gemüsegärten. Im gezimmerten Gasthof U krcmára kommt eine lokale Spezialität auf den Tisch: »Domáca kapustnica«, hausgemachte Krautsuppe mit Würstchen und Rauchfleisch.

Relaxen im Vratnátal in der Kleinen Fatra (Malá Fatra) (Foto: André Micklitza)
Relaxen im Vratnátal in der Kleinen Fatra (Malá Fatra) (Foto: André Micklitza)

So gestärkt, erobern wir den nächsten Pass in Richtung Liptovský Mikuláš. Davon gibt es hier reichlich, denn die kleine Slowakei ist vorwiegend Bergland. Allein bleiben wir nicht, es begleitet uns eine riesige Schar aufdringlicher Stechfliegen. Die Plagegeister geben die Verfolgung auf, als ihnen die rasante Abfahrt keine Chance lässt, uns weiter zu piesacken. Wir rollen geradewegs ins Käseparadies Liptau. Der berühmte slowakische Schafskäse wurde von der EU als regionale Spezialität anerkannt. »Oštiepok« heißt der geräucherte harte und gesalzene Schafskäse aus der Almhütte, der weichere Dampfkäse »parenica«. Aus dünnen Käsestreifen werden hier die Käsezöpfe »korbáciky« geflochten. Der »Liptauer« ist ein Streichkäse, der leckere Brotaufstrich wird häufig mit Kümmel, Paprika, Schnittlauch und Zwiebeln gewürzt. Auch das bekannteste slowakische Nationalgericht kommt aus der Liptau: die Käsenockerln aus Kartoffelteig, »Bryndzové halušky«, die mit Liptauer Käse vermischt und mit geröstetem Speck abgeschmeckt werden.


Kinderparadies Slowakei

Von Liptovský Mikuláš führt parallel der Autobahn eine wenig befahrene Landstraße an den Nordfuß der Westtatra. Im hiesigen Tal Rackova dolina genießen wir einen Ruhetag. Einsam auf einer Waldwiese steht das Hotel Mier, was »Frieden« bedeutet. Kann es einen schöneren Ort für ein Kinderferienlager geben? Frieden herrscht hier im wahrsten Sinne des Wortes. Nach einem aufregenden Tag mit Herumtoben und munter drauflosplappernden, aber durchaus wohlerzogenen Kleinen schlummern diese gegen 22 Uhr ein, dann zwitschern die Vögel noch eine Weile, daraufhin beginnt das Käuzchen zu rufen und danach ist es mucksmäuschenstill.

Wie auf einem Landschaftsgemälde komponiert, Zipser Kapitel (Foto: André Micklitza)
Wie auf einem Landschaftsgemälde komponiert, Zipser Kapitel (Foto: André Micklitza)

Zurück auf der Landstraße, rücken die Berge der Hohen Tatra näher. Ein Orkan im November 2004 beraubte das Vorland fast des gesamten Waldes. Es regnet und so ist der Anblick noch trauriger. Auf der Straße durch die Urlaubsorte der Hohen Tatra kommen wir zügig voran, weiter nach Kežmarok. Die Deutschen nannten das mittelalterliche Schatzkästchen einst »Käsmark«, vieles aus jener Epoche blieb erhalten. Auch das benachbarte Levoca, deutsch »Leutschau«, bewahrt wahrhafte Schätze auf, so den höchsten gotischen Altar der Welt!
Von hier bleibt nur die Hauptstraße, um auch der berühmten Zipser Burg einen Besuch abzustatten. In ihrem Schatten steht die einstige Bischofsburg Spišská Kapitula. Hier fühlen sich wieder die Kinder wohl. Katarína Ledecká leitet das Hotel Kolpinghaus. Lächelnd und sanftmütig erzählt sie davon, wie vor wenigen Wochen junge Schüler zu Gast waren. »Zehn Kinder wohnten im Präsidentenapartment. Dass im Badezimmer hinterher ein ganz schönes Chaos herrschte, haben wir mit Humor genommen.« Sie ist Mitte zwanzig und legt ihren sechs Kilometer langen Arbeitsweg auf Skatern zurück. Ihr schickes Kostüm hat sie zum Feierabend gegen Sportsachen und Knieschützer getauscht. Während wir im sanften Abendlicht den schönen Anblick auf die Kirchturmspitzen von Spišska Kapitula und die Zipser Burg einfangen, winkt sie von weitem und saust dann mit wehendem Haar ihrem Heimatdorf Baldovce zu.


Die Musik der slowakischen Sommerhauptstadt

Tage später fahren wir aus der nahen Stadt Spišská Nová Ves mit der Bahn in die slowakische Sommerhauptstadt Banská Bystrica. Die komplette Altstadt rund um den Hauptplatz mit ihren schmucken Renaissancehäusern ist eine von Autofahrern befreite Zone. In den vielen Cafés, Pubs und Restaurants sitzen vor allem junge Leute. Beinahe jeden Abend klimpern Gitarren oder ertönt ein Saxophon, ansonsten gibt’s Musik aus der Konserve. Der Uhrturm oberhalb des Platzes neigt sich 68 cm aus dem Lot. Und auch er bleibt nicht stumm, denn zu jeder vollen Stunde ertönt von hier ein anmutiges Glockenspiel.


Reiseinfos:

Anreise:
Startpunkt am tschechischen Bahnhof Breclav nahe der tschechisch-slowakischen Grenze
(EC-Haltepunkt auf der Bahnstrecke Hamburg-Berlin-Dresden-Prag-Brno-Wien mit Fahrradmitnahme für 10 Euro).

Reiseroute:
Hohe Dichte an Sehenswürdigkeiten und Natur, diese Richtung garantiert lange Abfahrten und meist kurze Anstiege. Viele Teilstrecken können mit einer Bahnfahrt abgekürzt oder eingespart werden.
Strecke: Breclav-Pezinok-Trnava-Pieštany-Trencín-Cicmany-Žilina Zuberec-Liptovský Mikuláš-Tatranská Lomnica-Kežmarok-Spišská Kapitula-Banská Bystrica (gesamt ca. 700 km).

Übernachtung/Verpflegung:
Sehr gutes Angebot für jeden Anspruch. Bei gleichem Niveau ca. 50 % günstigere Übernachtungspreise als in Deutschland, Verpflegungskosten noch niedriger. Z. B. Gourmetessen in drei Gängen und ein Glas Wein für zusammen 10-15 Euro.

Karten:
Alle slowakischen Rad- und Wanderkarten sowie Stadtpläne sind über den Landkartenservice Mittelosteuropa, Halde 6, 89189 Neenstetten, Tel. 07340/921968, zu beziehen,

  1. www.mittelosteuropa-landkarten.com (mit Online-Bestellung).

Infos in Deutschland:
Slowakische Zentrale für Tourismus, Zimmerstr. 27, 10969 Berlin, Tel. 030/25942640, sacr-berlin@botschaft-slowakei.de.


Infos im Internet:

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