Reportage

Eine Lektion für Wassergeher
oder Die Sprache schwimmt mir davon

Tückisch sind alle Sprachen, die einer anderen Familie als der indogermanischen angehören. Tückisch zumindest für Leser und Übersetzer. Manche Verwirrungen und einige herrliche Übertragungen wollen Ihnen Barbara Reiter und Michael Wistuba in ihrem amüsanten Artikel vorstellen. Das Autorenteam war unlängst im Finno-Ugrischen unterwegs, um eine Erstauflage zu recherchieren: »Westungarn – Budapest, Pécs, Plattensee« (1. Auflage 2008). Dabei lernten sie unter anderem die Vorzüge eines Thermalbads schätzen und wissen nun, was es heißt, auf dem Wasser zu gehen …


»Ungarn« sagen die Deutschsprachigen, »Hungary« heißt es auf Englisch, für die Franzosen ist es »Hongrie« und »Wengria« für die Russen. Und welchen Namen geben die Ungarn ihrer Heimat in der eigenen Sprache? Zu erraten ist es nicht, denn »Magyarország« ist alles andere als nahe liegend. Und damit sind wir schon beim Punkt. Während die übrigen Sprachen Europas aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur indoeuropäischen Sprachfamilie viele Gemeinsamkeiten aufweisen, tanzt das Ungarische aus der Reihe. Es zählt zu den uralischen Sprachen, dessen Ursprünge weit im Osten, im zentralen oder südlichen Uralgebiet liegen. Von dort her brach das Volk der Ungarn, die Magyaren, um 4000 v. Chr. Richtung Osten auf, um sich nach langer Wanderung 896 in der pannonischen Tiefebene niederzulassen.
Genau betrachtet, gehört das Ungarische zum finno-ugrischen Zweig des Uralischen, weshalb sich die Meinung verbreitet hat, Ungarn und Finnen könnten einander verstehen. Wer einen Finnen oder einen Ungarn je dazu befragt, wird nur Kopfschütteln ernten, denn 5000 Jahre getrennte Sprachentwicklung ließen kaum eine gemeinsame Vokabel übrig. Wegen der vielen Üs und Ös meint man an Stelle des Ungarischen auch oft etwas Türkisches zu hören. Sprachwissenschafter machten sich darüber schon im 19. Jh. ihre Gedanken, doch die Theorie einer Verwandtschaft des Ungarischen mit den Turksprachen gilt mittlerweile als widerlegt. Durch 150 Jahre Türkenherrschaft in Ungarn haben sich allerdings einige türkische Wörter in das Ungarische eingeschlichen, ebenso wie deutsche, österreichische und slawische.


Die »Rekonstruktion« der Metro und die »ruinierte Lage« von Schloss Esterháza

Angesichts dieses sprachlichen Inseldaseins inmitten Europas sehen sich die Ungarn gezwungen, Warnschilder, Prospekte, Hinweistafeln als Service für ausländische Besucher zu übersetzen. Weil Deutsche und Österreicher zu ihrer größten Urlaubskundschaft zählen, trifft man allerorten auf deutsche Texte, wofür man als Tourist sehr dankbar ist, denn bei Schildern wie »Tilos a dohanyzás« oder »húzni« weiß man kaum, was hier verboten (das Rauchen) oder gefordert (an der Tür ziehen) ist.
Doch es kann schon mal passieren, dass einen die deutsche Übersetzung ähnlich ratlos oder mit einem Schmunzeln auf den Lippen zurücklässt. Im Zuge unserer Recherchen in Ungarn trafen wir immer wieder auf die »Rekonstruktion« der Metro 2 in Budapest, was mehr Fragen als Antworten aufwarf. Gab es hier schon mal eine U-Bahn, die in der Zwischenzeit in den Tiefen der Stadt verschwand oder findet man die Geleise nicht mehr und schreitet deshalb zur Wiederherstellung? Bald wurde uns klar, dass »Rekonstruktion« generell für »Erneuerung« verwendet wird, eine Praxis, die für Westdeutsche und Österreicher völlig unüblich ist, in der einstigen DDR, wie wir später herausfanden, aber gängig war.
Nicht »Rekonstruktion«, sondern »ruinierte Lage« ist das Zauberwort bei einer Führung durch Schloss Esterháza in Fertod am Südwestufer des Neusiedler Sees. Der prächtige Rokokobau, 1761-67 von dem reichen Magnaten Fürst Miklós Esterházy errichtet und jahrelang Wirkungsstätte von Hofkapellmeister Joseph Haydn, wurde im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt. Die Ende der 1950er-Jahre begonnenen Restaurierungsarbeiten sollen 2009 zu Haydns 200. Todestag abgeschlossen sein. Um den Fortschritt der Arbeiten zu demonstrieren, wird auf Schwarz-Weiß-Fotografien in den Museumsräumen jeweils die »ruinierte Lage« des Schlosses gezeigt.


Messianisches Móhacs mit Babel Fish

Sprachliche Ungetüme begegneten uns auch in Móhacs, Ungarns südlichstem Donauhafen, wo ein buntes Völkergemisch aus Ungarn, Deutschen und Kroaten zu Hause ist. Um den Gedenktag des Heiligen Nepomuk (16. Mai), dem Schutzpatron der Schiffer und Flößer, wird dort das »Fest der Wassergehenden« gefeiert – nachzulesen in allen deutschsprachigen Hochglanzprospekten und Veranstaltungskalendern der Stadt. Man ist verlangt, dieses Fest dem Papst zur Heiligsprechung zu melden, denn etwas Messianischeres als das »Wassergehen« wird sich nur sehr schwer finden lassen …
Vermutlich unter Zuhilfenahme von Babel Fish entstand folgender deutsche Text, der in farbig bunten Flyern die Vorzüge des 2007 in Zalaegerszeg zwischen Plattensee und kroatischer Grenze neu errichteten Thermalbads preisen soll: »Die in einzigartigen Stil gebaute Badehalle leistet einen wunderschönen Anblick mit der Konstruktion des Glaskuppels besonders in der Nacht und wird die hier verbrachtete Zeit noch sonderbarer. Verdankend dem modernen Umluftungssystem wird eine pollenfreie Luft in der Badraum hineingeraten, was für den in Allergie Leidendenen eine ungestärte Schwimmerei versichert.«


Bissig oder doch beißer?

Kurz und prägnant hingegen war schließlich die Warnung, auf die wir am Fuß der prächtigen Burgruine von Sümeg im nördlichen Hinterland des Plattensees trafen. An den neu renovierten (rekonstruierten?) Pferdestallungen prangte vor einer Pferdebox, aus der ein dunkelbrauner Hengst sein Haupt steckte, ein weißes Schild mit folgendem Text: »Pferd ist beißer«.
Ganz so bissig sind die (West-)Ungarn allerdings nicht. Trotz mancher Sprachschnitzer, die wir ebenfalls machen würden, müssten wir diesen Text ins Ungarische übertragen (Hilfe!), verbringt man dort herrliche Tage; vor allem dann, wenn man auch reisen (nicht nur recherchieren) darf. Und noch etwas: Das »Fest der Wassergehenden« und das Thermalbad in Zalaegerszeg lohnen sich übrigens wirklich – nicht nur wegen der spannenden (Sprach-)Möglichkeiten, die hier geboten werden …

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