Wussten Sie, dass ...?

Teil 11: Das Antlitz Christi.
Eine kleine Abschweifung über eine der wichtigsten Reliquien des Mittelalters.

Der Michael Müller Verlag ist bekannt für seine reisepraktischen Handbücher. Neben Tipps von A bis Z gibt es auch ungewöhnliche und skurrile Themen, die während der Niederschrift eines Reiseführers ins Zentrum rücken. In jeder Ausgabe des Newsletters stellen wir Ihnen einen dieser kleinen Texte vor. Heute erzählen Eberhard Fohrer und Sabine Becht von einem »Heiligen Schleier«, der zunächst als verschollen, dann als gefälscht galt und seit einigen Jahren die Besucherzahlen einer Kirche in den Hügeln der Abruzzen wieder ansteigen lässt. Ihr Reisebuch zur »Italienischen Adriaküste« (2. Auflage 2010) ist in diesen Tagen erschienen.


Wenn das Licht stimmt, dann sieht man auf dem kleinen Tuch in der Tat das Gesicht eines bärtigen Mannes. Lange Zeit ging die Legende, gestützt auf apokryphe Schriften, eine Frau hätte Christus auf seinem Weg nach Golgatha ein Tuch gereicht und er hätte ihr daraufhin den Abdruck seines Gesichtes geschenkt: vera icon, das wahre Abbild. Die Reliquie wurde »Das Schweißtuch der Veronica« genannt.

Der »Heilige Schleier«, das so genannte soudarion, war eine der wichtigsten Reliquien des Mittelalters. Bei Jesu Grablegung bedeckte es das Gesicht des Gekreuzigten, am Ostermorgen aber lag es, laut dem 20. Kapitel des Johannesevangeliums, nicht bei den Leichentüchern im leeren Grab, sondern »zusammengewickelt an einem besonderen Ort« (Joh. 20,7). Seit ca. 1200 soll die Reliquie in der alten Peterskirche in Rom aufbewahrt worden sein. Zeitgenössischen Berichten zufolge zog das Tuch große Scharen von Gläubigen an. 1608 aber wurde die Kapelle, in der das Tuch aufbewahrt wurde, für den Bau der neuen Peterskirche abgerissen. Seitdem gab es immer wieder Gerüchte, das Tuch sei verschollen und durch eine Fälschung ersetzt worden. Der Vatikan gab sich bedeckt, wenn es um den Verbleib des »Heiligen Schleiers« ging.


Übereinstimmungen mit dem Turiner Grabtuch

An der Costa dei Trabocchi
An der Costa dei Trabocchi

Vor einigen Jahren brachte dann der Jesuit Heinrich Pfeiffer eine neue Wendung in die Geschichte. Der Professor für Kunstgeschichte an der päpstlichen Gregoriana-Universität in Rom behauptet, dass die in Manoppello verehrte Reliquie das »echte« soudarion sei. Das nur 17 x 24 cm große Seidentuch weise u. a. dieselben Materialeigenschaften wie das aus Rom verschwundene Tuch auf. Zudem stellte er Übereinstimmungen mit den Gesichtszügen Jesu auf dem Turiner Grabtuch (Sacra Sindone) fest, das ja – siehe Joh. 20 – in engster Verbindung mit dem Heiligen Schleier steht. Folglich ist in Manoppello das wahre Antlitz Jesu Christi zu sehen.

In Manoppello wird die Diskussion im Übrigen mit Interesse, aber auch mit Gelassenheit verfolgt. Hier weiß man, wem man die wertvolle Reliquie zu verdanken hat: Ein Engel, verkleidet als Pilger, hatte sie bereits im Jahre 1506 in das Abruzzendorf gebracht und in die Obhut der kleinen, abgelegenen Gemeinde gegeben. Demnach wurden im Jahr 2006 hier auch 500 Jahre »Volto Santo« gefeiert, und kein Geringerer als Papst Benedikt XVI. pilgerte am 1. September 2006 zur Wallfahrtskirche – allerdings als Privatmann, wie der Vatikan betonte. Dennoch verlieh der Papst dem Santuario wenige Wochen später den Ehrentitel einer Basilica minor, was die Besucherzahlen in den abruzzesischen Hügeln noch weiter nach oben steigen lässt.

Blick auf Caramanico Terme
Blick auf Caramanico Terme

Wussten Sie außerdem, dass die Basilika von Aquileia den größten frühchristlichen Mosaikboden Europas besitzt (Seite 72), in Padua die Zunge eines Heiligen aus dem 13. Jh. ausgestellt ist (Seite 166), die Isola Albarella südlich des Podeltas nur Einwohner und Urlauber mit fester Buchung betreten dürfen (Seite 187), in Cesenatico das höchste Bauwerk der Adria an den Wolken kratzt (Seite 225), die größte Eisdiele Italiens im mondänen Badeort Riccione liegt (Seite 240), Paolo und Francesca, das tragische Liebespaar aus Dantes »Göttlicher Komödie«, auf der Festung Gradara erdolcht wurden (Seite 256), der Staufer Friedrich II. öffentlich auf der Piazza in Jesi geboren wurde (Seite 278) und der Gran Sasso, mit 2.912 m der höchste Gipfel des Apennin, kaum eine Autobahnstunde von der Abruzzenküste entfernt liegt?


Antworten und jede Menge reisepraktische Tipps finden Sie im Reiseführer »Italienische Adriaküste« von Eberhard Fohrer und Sabine Becht.