Wussten Sie, dass ...?

Teil 6: Wodka.
Eine politische Biographie, recherchiert von Marcus X. Schmid.

Der Michael Müller Verlag ist bekannt für seine reisepraktischen Handbücher. Neben Tipps von A bis Z gibt es auch witzige und skurrile Themen, die während der Niederschrift eines Reiseführers ins Zentrum rücken. In jeder Ausgabe des Newsletters stellen wir Ihnen einen dieser kleinen Texte vor. Heute stochern wir im Alkoholnebel des Wodkas.


Nachforschungen über den Ursprung des Wodkas verlieren sich im Alkoholnebel der Geschichte. Seine Geburtsstunde liegt irgendwo im 15. Jahrhundert, sein Geburtsort vermutlich in Russland, vielleicht aber auch in Polen. So genau ist das heute nicht mehr auszumachen.
Verbürgt ist, dass unter Iwan dem Schrecklichen (1530-1584) in Moskau die ersten Trinkstuben eröffnet wurden, in denen kein Essen serviert werden durfte und der Wodka in Portionen zu 100 Gramm (in Restaurants wird auch heute noch in Gramm und nicht in Liter gerechnet) konsumiert wurde. Die Einrichtung für Schluckspechte hatte Erfolg und wurde bald auch in anderen Städten eingeführt, der Zar hielt sich an Trinksprüchen schadlos – und wohl auch an den Steuern.


Die staatstragenden Dimensionen des Alkohols

Peter der Große, Stadtgründer von St. Petersburg, ein Mann von mächtiger Statur, war auch im Trinken groß. Seinen Arbeitstag soll er regelmäßig mit einem Viertelliter Wodka begonnen haben. Peter verköstigte seine Gäste hervorragend und liebte es, sie unter den Tisch zu saufen. Nebenbei kurbelte er die Wodkaproduktion systematisch an, um Gelder für seine riesigen Bauprojekte einzutreiben. Auch Katharina die Große wollte auf die Einnahmen aus den Brennereien nicht verzichten; zudem befand sie, dass betrunkene Untertanen ganz einfach besser zu regieren seien. So hatte sich der Wodka schon tief in die russische Seele eingegraben und im russischen Körper schon einiges angerichtet, als der Staat um 1900 nicht nur das Monopol an sich riss, sondern sich auch daran machte, einen Qualitätsstandard einzuführen, eine »appellation contrôlée« auf Russisch. Der renommierte Chemiker Dmitrij Mendelejew, Erfinder des Periodensystems der Elemente, das noch heute manchen Gymnasiasten plagt, wurde damit beauftragt, Levels für die Herstellung und den Alkoholgehalt des Wodkas auszuarbeiten.

Die Marken im Überblick
Die Marken im Überblick

Die Kommunisten, die 1917 die Macht an sich rissen, befanden, dass eine alkoholisierte Arbeiterschaft der Produktionssteigerung nicht förderlich sei, und kämpften mit einigem Erfolg gegen den grassierenden Wodkakonsum. Trotzdem wurde im russischen Bürgerkrieg auf Seiten der Weißen wie der Roten weiterhin kräftig Schnaps geschluckt, und bereits Mitte der zwanziger Jahre dachten die Kommunisten so pragmatisch wie zuvor die Zaren: Die staatlichen Einnahmen aus dem Wodkahandel waren eine nationalökonomische Größe und nicht zu verachten. So ging die Trinkerei munter weiter. Im Zweiten Weltkrieg bekamen die Soldaten ihre tägliche Hundertgramm-Ration, die den Kampfgeist stärken sollte und manchen in die Abhängigkeit führte. Die Sowjetunion befand sich 1945 auf Seiten der Siegermächte – und zählte ein paar Millionen Alkoholiker mehr.


Von Gorbi bis Medwedew: Staatspräsidenten als Markenzeichen

Auch Michail Gorbatschow, der letzte Präsident der Sowjetunion, entdeckte den vom Wodka angerichteten volkswirtschaftlichen Schaden: eine durchschnittliche Lebenserwartung des russischen Mannes von unter 60 Jahren, ganz zu schweigen von den alkoholbedingten Arbeitsausfällen. Er startete eine Kampagne gegen den Wodkakonsum, das begehrte »Wässerchen« war plötzlich nur noch gegen Bezugsmarken und auf zwei Flaschen pro Monat limitiert zu bekommen. Erfolg: Die Bezugsmarken entwickelten sich umgehend zu einer Schattenwährung. Gorbatschows Nachfolger Jelzin ließ dann den Wodka wieder fließen, auch in seine eigene Kehle. Über Wladimir Putin ist diesbezüglich nichts Nachteiliges bekannt, er trinkt gerne Tee.
Die Wodkamarke »Gorbatschow« hat übrigens nichts mit dem ehemaligen russischen Staatspräsidenten zu tun, sie ist älter. Ein Petersburger Wodkabrenner namens Leontowitsch Gorbatschow, den die Flucht vor der Oktoberrevolution 1917 nach Berlin verschlug, nahm dort seine alte Tätigkeit unter eigenem Namen wieder auf. Seine ersten Kunden waren in Deutschland gestrandete russische Flüchtlinge. Heute gehört »Gorbatschow« zu den meistverkauften Wodkas in Deutschland und ist im Besitz der Sektkellerei Henkell & Söhnlein. Selbstverständlich wusste die Firma nach 1989, als ganz Deutschland Michail Gorbatschow zujubelte, den Gorbi-Effekt markttechnisch umzusetzen. Das verleitete ein paar Jahre später eine französische Firma, eine Marke »Boris Jelzin« zu lancieren – bis heute ohne großen Erfolg. In St. Petersburg findet man im Supermarkt weder Gorbatschow noch Jelzin, dafür »Putinka«. Dieser Wodka kam drei Jahre nach Putins Machtübernahme auf den Markt, und der Moskauer Hersteller versicherte scheinheilig, der Name würde sich auf put (= Weg) beziehen. Wie auch immer: Er schmeckt vorzüglich. Eine Marke »Medwedewka« wurde russischen Quellen zufolge inzwischen beim Patentamt angemeldet.

Wussten Sie außerdem, dass das weltberühmte, verschollene Bersteinzimmer wieder zu sehen ist, wenn auch nur als Kopie (S. 214), dass der Anarchist Bakunin im zaristischen Gefängnis eine »Beichte« ablegte (S. 191), dass die Eremitage fast drei Millionen Kunstwerke besitzt, von denen nur zwei Prozent ausgestellt werden (S. 135), dass jede Nacht in St. Petersburg 13 Brücken hochgezogen werden (S. 57), dass der »Lolita«-Autor Vladimir Nabokov auch als Schmetterlingsjäger erfolgreich war (S. 170) oder dass im August das Fotoverbot in der Metro aufgehoben wurde (nach Erscheinen unseres Buches, deshalb auf der Internetseite unter »Reise-News« zu lesen)?


Antworten und jede Menge reisepraktische Tipps finden Sie im Reiseführer »St. Petersburg MM-City« von Marcus X. Schmid.

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