Wussten Sie, dass ...?

Teil 10: Strandräuber.
Ein historischer Exkurs zur Piraterie auf Sylt.

Der Michael Müller Verlag ist bekannt für seine reisepraktischen Handbücher. Neben Tipps von A bis Z gibt es auch witzige und skurrile Themen, die während der Niederschrift eines Reiseführers ins Zentrum rücken. In jeder Ausgabe des Newsletters stellen wir Ihnen einen dieser kleinen Texte vor. Heute erzählt Dirk Thomsen von der kriminellen Vergangenheit der Sylter. Sein Reisebuch zur beliebten Urlaubsinsel ist in diesen Tagen erschienen.


Wenn es früher stürmte auf hoher See, dann rieb sich so mancher Sylter die Hände. Denn das ließ die Chancen steigen, dass Schiffe am Strand der Insel havarierten. Es gab sogar manchen Pastor, der zusammen mit seiner Gemeinde um einen »gesegneten Strand« bat. Denn die gestrandeten Schiffe verhießen eine satte Beute. Kaum hatte sich die Kunde von einer Havarie herumgesprochen, da strömten die Sylter zum Strand, um sich an der Ladung des Schiffes gütlich zu tun. Besonders die Einwohner des Dorfes Rantum sollen sich als Strandräuber hervorgetan haben, bisweilen ohne jede Rücksicht auf Verluste. So sollen 1713 sechs überlebende Schiffbrüchige von den am Strand wartenden Rantumern kaltblütig erschlagen und im Dünental »Dikjendeel« verscharrt worden sein. Andere skrupellose Insulaner zündeten nachts am Strand ein Feuer an und gaukelten so den mit der See kämpfenden Kapitänen ein Navigationssignal vor, um die Schiffe auf den Strand zu locken.

So geregelt ging es früher nicht zu am Sylter Weststrand
So geregelt ging es früher nicht zu am Sylter Weststrand

Strandräuberei war damit nichts anderes als Piraterie. Das sahen die Sylter natürlich etwas anders. »Frei ist der Strandgang, frei ist die Nacht«, hieß es auf der Insel. Damit lag man allerdings aus Sicht der Justiz vollkommen falsch. »Was niemandem nachweislich gehört, gehört dem König«, besagte schon im Mittelalter das dänische Recht. 1705 wurde das Gesetz noch verschärft: Auf Strandräuberei in schweren Fällen stand nun die Todesstrafe, auf mindere Fälle zehn Jahre Kerker.


Die Vorzüge der Nacktheit und der »Zuchtmeister der Strandräuber«

Zuständig für die Überwachung der Gesetze waren die Strandvögte, die einen schweren Stand hatten. Sie waren meist geborene Sylter und Mitglied der jeweiligen Dorfgemeinschaft, mussten aber dennoch dem Recht des Königs Geltung verschaffen, was sie mitunter teuer zu bezahlen hatten. So fiel etwa das Haus des Strandvogts Erik Mannis einem Brandanschlag zum Opfer, und Nis Bohn wurde auf seiner eigenen Hochzeit erschlagen, weil er zuvor vier Männer und drei Frauen wegen Strandräuberei vor den Richter gebracht hatte.

Doch nicht nur mit grober Gewalt setzten sich die Sylter gegen die Obrigkeit zur Wehr, sondern auch mit List und Tücke. So hatte sich einst eine junge Witwe aus Rantum nachts ein Butterfass von einem gestrandeten Schiff gesichert, als sich der Strandvogt näherte. Schnell entledigte sie sich all ihrer Kleider, und der wohlerzogene Strandvogt schlich verschämt von dannen…

Bekanntester Strandvogt war Lorens Petersen de Hahn (1668-1747). Der gebürtige Rantumer war schon früh zur See gefahren. Auf einem Helgoländer Fischerboot verdiente er sich mit 15 Jahren den Zunamen »de Hahn«, weil er mit lautem Kikeriki die Fischer weckte. Mit Mitte zwanzig war er schon Kapitän eines Walfangschiffes und soll so viel Geld mit der Jagd auf die Meeressäugetiere verdient haben, dass er bei seinem Tod umgerechnet vier Millionen Euro schwer war. 1713 wurde der groß gewachsene, hagere Seemann zum Strandvogt ernannt und erwarb sich schon bald den Ruf eines »Zuchtmeisters der Strandräuber«. In stürmischen Nächten streifte er wachsam über die Insel und setzte das Gesetz auch schon einmal mit seinen Fäusten durch. Durch seine gewissenhafte Ausübung des Amtes kam der organisierte Strandraub auf Sylt zum Erliegen. Mit 78 Jahren starb Petersen de Hahn in seinem stattlichen Haus in Westerland und hinterließ seinen Töchtern ein reiches Erbe.

Die letzten Strandräuber
Die letzten Strandräuber

Wussten Sie außerdem, dass auf Sylt Wein angebaut wird (Seite 68), Sie am Westerländer Bahnhof von Riesen empfangen werden (Seite 87), das Sylter Rumpelstilzchen Flutwellen nach Rantum schickt (Seite 204), die Sahara nördlich von List liegt (Seite 150), am Sylter Weststrand Walmütter mit ihren Babys vorbeischwimmen (Seite 16), die Braderuper Heide einst von Buddha bewacht wurde (Seite 116), die Sylter Auster eingewandert ist (Seite 155), man mit Sylter Trachtenhauben Feinde vertreiben kann (Seite 39), Sie auf Sylt gleich in vier Sterne-Restaurants speisen können (Seite 68) und das Rote Kliff bei Kampen rostet (Seite 134)?


Antworten und jede Menge reisepraktische Tipps finden Sie im Reiseführer »Sylt« von Dirk Thomsen.

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