Reportage

Vom Kalten Krieg zum Lost Place
Das Bunkerkrankenhaus in Gunzenhausen

Dass wir nicht immer nur über die angenehmen Dinge des Lebens berichten, ist eingefleischten Leser/innen unserer Reiseführer wohl bekannt. Denn wir sind davon überzeugt, dass man eine Stadt oder Region am intensivsten erlebt, wenn man unterschiedliche Facetten kennenlernt. So ist unser Autor Andreas Haller bei der Recherche zu seinem neuen Reiseführer über das Altmühltal und das Fränkische Seenland auf einen Ort gestoßen, den man heute gern als »Lost Place« bezeichnet: ein unterirdisches Bunkerkrankenhaus aus dem Kalten Krieg. Angesichts der aktuellen politischen Entwicklungen und dem Krieg in der Ukraine gewinnen solche Einrichtungen leider wieder eine tragische Realität.

Autor Andreas Haller

Unauffälliger könnte der Zugang kaum sein: Vor der Berufsschule am Stadtrand von Gunzenhausen führt eine Treppe nach unten und endet an einem abgesperrten Metallgitter. Der Treppenabgang ist so durch und durch gewöhnlich, dass man ihn leicht übersieht. Den meisten Menschen, die täglich vorbeilaufen, ist vermutlich nicht bewusst, dass sich fünf Meter unter der Erde und geschützt durch eine 60 cm dicke Stahlbetonhülle ein erstaunliches Relikt aus der Zeit des Kalten Krieges befindet: ein unterirdisches Hospital auf einer Fläche von 4000 m2, errichtet in den 1960er-Jahren. Bis auf wenige Ausnahmen ist die Einrichtung noch so erhalten, wie bei der Eröffnung des Krankenhauses 1965. Die Besichtigung im Rahmen einer Führung ist daher immer auch eine Reise zurück in eine nicht so ferne Vergangenheit.

Verwirrendes Labyrinth unter Tage: Lageplan am Eingang
Verwirrendes Labyrinth unter Tage: Lageplan am Eingang – Foto: Andreas Haller

Beklemmendes Gefühl unter Tage

Es ist kühl unter Tage. Die Temperatur liegt, egal ob im Sommer oder im Winter, bei acht Grad. Auch aus anderen Gründen beschleicht mich sogleich ein klammes Gefühl: Grelles Neonlicht an der Decke erhellt karge Betonwände, deren einziger Schmuck ein horizontal verlaufender, blassgrüner Streifen aus Phosphor ist. Er leuchtet für eine Übergangszeit, wenn unter Tage einmal der Strom ausfällt. Die Leitungen liegen über Putz und führen von den Technikräumen entlang ellenlanger Gänge in die OP- und Behandlungszimmer. Effizienz hat hier eindeutig Vorrang vor Ästhetik. Bei dem Wort „Schleuse“ sowie beim Anblick der Duschen am Eingang zucke ich innerlich zusammen. Welcher und welche Deutsche hätte hier nicht bestimmte Assoziationen?

Starke Stromgeneratoren sorgen für den Notbetrieb
Starke Stromgeneratoren sorgen für den Notbetrieb – Foto: Andreas Haller

Kubakrise Oktober 1962: Das nukleare Wettrüsten der zwei großen militärischen Blöcke kulminierte in einen Beinahe-Zusammenstoß der USA mit der Sowjetunion. Niemals zuvor (und danach) war die Gefahr eines Atomkriegs so groß wie damals. Das Ereignis machte nachhaltigen Eindruck, denn 1963 verfügte die Bundesregierung den Bau von unterirdischen Hilfskrankenhäusern, um bei eventuellen Nuklearkatastrophen die Bevölkerung besser zu versorgen. In der Folge wurden, von den Menschen meist unbemerkt, 220 unterirdische Hospitäler eingerichtet, darunter viele bombengeschützte. Der Prototyp eines solchen bombensicheren Krankenhauses entstand in Gunzenhausen, damals noch auf dem freien Feld vor der Stadt.

Genesungszimmer am Ende der Welt
Genesungszimmer am Ende der Welt – Foto: Andreas Haller

Perfektion und Improvisation

Heute ist das Bunkerkrankenhaus in Gunzenhausen die einzige Einrichtung der Art, die noch existiert. Die übrigen wurden im Überschwang der Wiedervereinigung und des Heraufdämmerns einer neuen globalen Weltordnung nach 1989 geschlossen und zurückgebaut. Perfektion und Improvisation – die Attribute drängen sich mir beim Durchstreifen der Zimmer auf. Einerseits wirkt alles ziemlich perfekt: Der Übersichtsplan am Eingang macht Eindruck – offensichtlich wussten die Planer, was sie taten; die unkaputtbaren Schiffsmotoren und Generatoren versagen im Ernstfall gewiss nicht den Dienst; unter Tage sorgen sie für genügend Power, auch dann, wenn weiter oben die Welt untergeht. Andererseits ist vieles improvisiert: ein Leitsystem mit handgeschriebenen Zetteln, die Narkotika im OP-Raum, der fehlende Lärmschutz, und den Speisesaal hatte man offenbar einfach vergessen!

Karge Flure durchziehen das unterirdische Krankenhaus
Karge Flure durchziehen das unterirdische Krankenhaus – Foto: Andreas Haller

Warum als Standort für das erste Bunkerkrankenhaus die Wahl ausgerechnet auf Gunzenhausen fiel, ist nicht geklärt. Möglicherweise gab das Fehlen von Industrie den Ausschlag, vielleicht aber hatte die Stadt auch nur den optimalen Evakuierungsabstand zur Metropolregion Nürnberg. Die 360 Betten im Hilfskrankenhaus waren nämlich nicht für die Gunzenhauser/innen vorgesehen, sondern für verletzte und nuklear kontaminierte Menschen aus dem Raum Nürnberg. Kein Wunder, dass die einheimische Bevölkerung über die Existenz der Einrichtung kaum Bescheid wusste – ein Lost Place, scheinbar völlig aus der Zeit gefallen!

Blick in den Behandlungsraum
Blick in den Behandlungsraum – Foto: Andreas Haller

Eine Mahnung für den Frieden

Zurück an der frischen Luft, atme ich nach der Führung tief durch. Ich sehe vor meinem inneren Auge die Krankenbetten in den Zimmern, die wie Soldaten in klaustrophobischer Enge aufgereiht sind. Und ich denke an die heutigen Krisen und daran, wie weit entfernt von der vermeintlichen Sicherheit nach 1989 die Welt heute ist. Nicht auszudenken, was sich abspielt, sollten tatsächlich einmal die Bomben fallen. Das Gefühl der Beklemmung bleibt auch nach dem Ende der Führung durch das Krankenhaus: Dass eine solche Einrichtung für den Ernstfall reaktiviert wird, möchte gewiss niemand erleben!

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