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Veronica Frenzel | 01.12.2008 | 20:14 Uhr | ID 68931
Klettern in El Chorro

Die beiden Hamburger Gritt und Tobias Görtz haben vor zweieinhalb Jahren eine Kletterschule in El Chorro (Álora) eröffnet. Von September bis Juni leben und arbeiten sie in dem größten Winterklettergebiet Europas

Tobias Görtz blickt konzentriert nach oben. Die Sonne blendet ihn ein wenig, die Augen kneift er zusammen. Er steht vor einer steilen, von der Sonne rötlich angeleuchteten Felswand. Einige Meter über seinem Kopf kann man einen jungen Mann an der Wand erkennen. Tobias ist über ein Seil mit ihm verbunden, jeden Schritt des Mannes in der Wand verfolgt er genau, macht er eine Bewegung nach oben, gibt er ihm mehr Seil, hakt er sich in eine der Ösen ein, die in der Wand angebracht sind, holt er das Seil schnell wieder ein. Görtz gibt gerade einen Vorstiegskurs. Der 34-Jährige wohnt seit zweieinhalb Jahren mit seiner Frau Grit zwanzig Gehminuten von dem spanischen Kletterparadies El Chorro entfernt. Die beiden verdienen ihren Lebensunterhalt mit Kletterkursen in der Gegend. Darum herum haben die beiden nach gut zwei Jahren bereits ein riesiges Zusatzangebot entwickelt. "Sonst würde es uns langweilig wird", sagen die beiden einstimmig.
Bis zum Frühjahr 2006 lebten die beiden in ihrer Heimatstadt Hamburg. Grit Görtz arbeitete als Kommunikationsdesignerin beim Spiegel, Tobias war Personaltrainer und Kletterlehrer. Nach einer Unterrichtsstunde in der Kletterhalle saßen die beiden am Abend mit einem Freund beim Bier in einer Kneipe. "Unser Freund hatte sein Arbeit satt und wir bauten mit ihm Luftschlösser", erzählt Tobias. Die beiden waren gerade sieben Monate mit einem Camping-Bus durch Spanien, Portugal und Marokko getourt, sie hatten eine Menge Klettergebiete gesehen. "Wir schlugen ihm vor sich eine schöne Gegend zu suchen, dort ein altes Landhaus zu suchen, ein paar Zimmer herzurichten und Kletterkurse zu geben." Als Grit am nächsten Morgen aufwachte, sagte sie zu ihrem Mann. "Weißt Du worüber ich die ganze Nacht nachgedacht habe?" "Dass wir eine Kletterschule aufmachen", nahm ihr Tobias die Worte aus dem Mund. 14 Monate später lebten sie in El Chorro.
Gritt Görtz hebt ihren weißblonden Sohn Leonard auf die Knie. Seit ein paar Wochen läuft er und wenn man den aufgeweckten Jungen nicht festhält, ist er gleich davon. Als er vor einem Jahr auf die Welt kam, hat er den Alltag der beiden in El Chorro umgekrempelt. Sie kauften sich ein geräumiges Mobile Home, ließen es überhalb des alten Bauernhauses, in dem sie bisher zusammen mit den Klettergästen wohnten, abstellen und richteten sich dort mit Kinderzimmer ein. Bis zur Geburt ihres ersten Sohnes hatte Grit freiberuflich als Grafikerin gearbeitet. Das ist jetzt erstmal vorbei. "Aber die Kletterschule läuft gut und die Landidylle von El Chorro ist ein idealer Ort für Leo", sagt sie. Gerade treibt ein Hirte Ziegen unterhalb des Mobile Homes der jungen Familie vorbei.
Dass ihr künftiger Wohnort El Chorro heißen sollte, war zuerst nicht klar. Auch Mallorca, die Kanaren und die Algarve standen zur Debatte, als die Entscheidung einmal gefällt war, das Abenteuer Climbing-Lodge zu wagen. "El Chorro hat uns schließlich überzeugt, weil man hier den ganzen Winter über klettern kann", sagt Tobias Görtz. Als die Entscheidung gefallen war, nahmen sie sich drei Wochen Urlaub, um nach dem alten Bauernhaus zu suchen, an das sie in der schicksalsweisenden Nacht gedacht hatten. "Drei Wochen lang fuhren wir an jeder kleinen und kleinsten Straße um El Chorro herum enlang, klingelten an jeder Tür, sprachen mit jedem, der uns über den Weg lief", erinnert sich Tobias. Und weil in dem kleinen Weiler jeder jeden kennt, drückte ihnen bald jemand die Nummer von dem Besitzer eines alten Cortijos in die Hand, nur 20 Minuten von den ersten Klettertouren entfernt. "Es war perfekt, wir mussten fast nichts mehr machen. Das Haus war frischrenoviert, die Räume boten sich gut zur Zimmervermietung an und es gab sogar einen Swimmingpool", erzählt Grit Görtz.
Etwa die Hälfte seiner Arbeitszeit kümmert sich Tobias Görtz um die Organisation der Kurse, die andere Hälfte der Zeit verbringt er am Felsen. Grit kümmert sich um die Unterkunft, die Verpflegung und um Sohn Leo. Von September bis Mitte Juni ist die Climbing-Lodge in Betrieb. In den heißen Sommermonaten flüchten die drei nach Deutschland. Der Computer bleibt während der ganzen Zeit an, um auf Anfragen und Reservierung reagieren zu können. Während der Saison engagieren die beiden zusätzliche Lehrer. "In der Climbing-Lodge unterrichten wir nur kleine Gruppe von höchstens sechs Personen", sagt Tobias. "Da brauchen wir noch mehr Lehrer. Wenn ich den Kurs anbiete, genügen schon zwei Teilnehmer. Wenn ein externer Lehrer den Kurs unterrichtet, brauchen wir mindestens vier Besucher, damit es sich lohnt."
An dem Ausbildungsangebot feilen die beiden ständig. Demnächst wird der Sportpsychologe Kai Engbert von der Technischen Universität in München einen Kurs zum Thema Ängste beim Klettern anbieten. "Dabei geht es meist weniger um Höhenangst, sondern um die Angst von der Wand zu fallen", erklärt Tobias Görtz. "Die Teilnehmer sollen zuerst herausfinden, vor was sie sich genau fürchten, und dann wollen wir ihnen beibringen, wie sie ihre Angst bekämpfen". Auch das richtige Fallen wird gelernt. "Ich fand das Thema total spannend und als Kai, ein ehemaliger Schüler (Kai war Kein Schüler!), mir vorschlug, gemeinsam den Kurs anzubieten, war ich sofort dabei", sagt Tobias.
Im Programm haben die beiden auch zwei Mal im Jahr den Kurs Yoga und Klettern. Vormittags wird geklettert, am Nachmittag werden Yogastellungen trainiert. "Yoga und Klettern sind zwei ganzheitliche Bewegungsformen, bei denen man sich vollkommen im Augenblick befindet und die sich perfekt ergänzen", sagt Grit Görtz. Das Programm kommt sehr gut an. Gemeinsam mit einem Freund, der an der Algarve Unterricht im Wellenreiten gibt, bieten sie das Urlaubspacket Surf’n’Climbing an. Nach einer Woche Klettern in El Chorro, geht es im Bus nach Sagres, wo die Teilnehmer sich auf dem Surfbrett versuchen.
Erst vor zehn Jahren hat Tobias Görtz angefangen zu klettern. "Das Kletterfieber hatte mich ziemlich schnell gepackt", sagt der DAV-Klettertrainer. Als er Grit vor sechs Jahren kennenlernte, steckte er sie bald mit dem Virus an. Die Kletterhalle war ihr zweites Wohnzimmer. Drei Jahre später brach das junge Paar die Zelte in Deutschland voerst ab, um die Climbing-Lodge zu eröffnen. Das Abenteuer ist geglückt. "Natürlich könnte das Geschäft besser laufen, aber wir können jetzt von der Climbing-Lodge leben. Das ist super." Rund hundert Teilnehmer haben in der vergangenen Saison bei den beiden in dem alten Cortijo gewohnt, fast alle kamen aus Deutschland. "Wir werben nur mit unserer Webseite. Wer Klettern in Spanien eingibt, landet ziemlich schnell bei uns", sagt Grit Görtz. "Und unserer Gäste haben auch oft Freunde zu uns geschickt."
Wenn Tobias mal nicht selbst unterrichtet, packen die beiden Sohn Leo, die Klettergurte, Seil und Schuhe ein und erklimmen Felswände. In El Chorro treffen sie immer Freunde, mit denen sie sich beim Sichern abwechseln, damit einer auf Leo aufpassen kann. "Die Atmosphäre hier ist super", sagt Grit. "Das Gebiet wird von den Kletterern selbst verwaltet, jeder fühlt sich für die Sicherheit verantwortlich, das Gemeinschaftsgefühl ist rieisg." Jedes Jahr kommen rund 30 neue Touren dazu, mehr als 1.000 gibt es bereits. Die Kletterer bohren die Haken selbst in die Wand und geben die Koordinaten und eine Skizze an den Kletterladen in El Chorro, den übrigens auch ein Deutscher leitet. Dort werden die neuesten Touren gesammelt und jedes Jahr in den aktualisierten Gebietsführer aufgenommen. Auf ihrer Seite veröffentlichen Grit und Tobias immer die neuesten Routen. Die beiden haben gemeinsam schon einige neue Touren gesteckt. Den Workshop "Routen bohren" kann man in der Climbing-Lodge übrigens auch belegen. Langeweile kommt in der Climbing-Lodge in El Chorro nicht so schnell auf.

Kurse: An den Kletterkursen für Anfänger und Fortgeschrittene kann man auch ohne Übernachtung teilnehmen. Jeden Montag werden Schnuppertage für Leute, die noch nie geklettert sind, angeboten. Wer sich zu zweit oder in einer Gruppe bis sechs Personen anmeldet, kann auch jeden anderen Tag für den Schnupperkurs wählen. Die übrigen Kurse sind alle auf eine Woche angelegt. Information: Grit und Tobias Görtz, Casa Rural "La Teja", Las Angosturas, El Chorro (Álora), Tel.: 648 135 125, www.klettern-in-spanien.de

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