HOME > REISE-FORUM > SPANIEN FORUM
Spanien Forum
Thema
Veronica Frenzel | 01.12.2008 | 20:22 Uhr | ID 68932
Ein Ausflug in die Burganlage von Castellar de la Frontera

Eigentlich sollte das Dorf Castellar de la Frontera in der Provinz Cadiz von einem Stausee überflutet werden. Das Wasser blieb jedoch aus. Dafür kamen Hippies aus aller Welt. Einige wohnen immer noch in den Mauern des alten Schlosses. Zu ihnen haben sich heute Künstler und Kunsthandwerker gesellt, die ihren selbstgemachten Schmuck, Möbel, Kleider und Bilder anpreisen.

"Aus der ganzen Welt waren die Leute, die hier früher gelebt haben", erzählt Hermann Link, der Veterane unter den deutschen Dagebliebenen. Ende der 70er Jahre kam er nach Castellar. Eigentlich war er auf dem Rückweg von Marokko, durch Spanien musste er nur aus logistischen Gründen. Eigentlich hätte er das faschistische Terrain natürlich lieber gemieden. Durch Zufall stieß er auf das kleine Dorf Castellar de la Frontera, in unmittelbarer Nähe von Gibraltar. "Es war Liebe auf den ersten Blick", sagt Link. Von dem Fenster seines kleinen Häuschen aus sieht er direkt auf den Stausee Guadarranque, der unterhalb von Castellar liegt.
Der Stausee hat das Phänomen Castellar erst möglich gemacht. Anfang der 70er Jahre plante Franco den Fluss Guadarranque statt ins Meer in einen Stausee münden zu lassen. Für dieses Projekt mussten die Bewohner des Festungsdorfs Castellar aber erst ihre Häuser räumen. Die Siedlung Nueva Castellar de la Frontera wurde gebaut und brav packten die Dorfbewohner ihre sieben Sachen und machten sich aus dem Staub.
Als Hermann Link im Jahr 1976 nach Castellar kam, fand er in der Burg nur ein paar Kanadier und US-Amerikaner vor. Von den Fluten des Guadarranque weit und breit keine Spur. Das Dorf war verschont geblieben, doch die Bewohner blieben da wo sie waren, im neuen Ort. Hermann Link und seine Mannen hatten den idealen Platz gefunden: Eine mittelalterliche Dorfidylle inmitten unangetasteter Natur, an der sie unbeschadet ihr Dasein fristen konnten, in Freiheit und mit Liebe. Link blieb sofort da. Er reiste nicht einmal mehr zurück nach Deutschland, sondern stellte seinen VW-Bus auf dem Parkplatz vor der Burg ab und schlug mit seinen sieben Sachen in einem der leer stehenden Häuser auf.
Heute hört Link das Wort Hippie nicht mehr gerne. "Wenn hier in Spanien jemand Hippie sagt, meint er ‘Nichtsnutz’ und das hatte mit uns nie etwas zu tun", sagt er und zieht aus einer Kiste in einem kleinen Nebenzimmer, in dem sich mehrere Spiegeljahrgänge stapeln, eine dicke Mappe mit akribisch in Plastikhüllen gesammelten Zeitungsartikeln. Davon, wie er und seine Freunde das Dorf verschönerten, erzählen die Ausschnitte der älteren Jahrgängen, undd davon, wie sie ein internationales Zirkusfestival in den Burgmauern organisierten. Doch später beginnen polemische Zeilen. Die ausländischen Hippies hätten sich unrechtmäßig der Burg ermächtigt.
"Da haben sie gemerkt, welchen touristischen Wert dieser Flecken hat", sagt Link und tippt auf den Artikel. In Besitz hätten sie das Burgdorf in der Tat, doch von unrechtmäßig könne keine Rede sein, bekräftigt Link. In dem Grundbuch seines Häuschen sei er als Eigentümer angegeben, erklärt er stolz.
Irgendwann Ende der 80er Jahre war der Traum vieler Aussteiger ausgeträumt. "Ein Freund von mir hat sich ein Haus in Jimena de la Frontera gekauft. Der wollte Sicherheit im Alter…" So wie er dachten viele, die meisten gingen zurück nach Deutschland. Geblieben ist der harte Kern. Die Verantwortlichen für Tourismus haben die damals halb leerstehende Burg als Attraktion entdeckt, die verfallenen Häuser wieder renoviert und einige der Häuser als Fremdenzimmer herrichten lassen.
In letzter Zeit haben auch andere das malerische Burgdorf für sich entdeckt: Immer mehr Künstler lassen sich in den noch leerstehenden Häusern nieder. "Bessere Arbeitsbedingungen kann man nicht vorstellen und der Absatzmarkt ist auch gleich vor der Tür," bringt der Italiener Rafael Pasquini die Vorteile seiner Wahlheimat auf den Punkt. Die Symbiose zwischen Künstlern und Touristen ist äußerst fruchtbar. In jede zweite offene Haustür darf man eintreten und dem Maler über die Schulter schauen oder die Waren, meist aus Asien, bewundern.
Francisco Guerrero hat mit seiner kleinen Bar ebenfalls den Zahn der Zeit in Castellar getroffen. Aus Eichenfässern serviert er süßen Sherry-Wein und lässt Triana und Paco de Lucía dudeln. Auf Anfrage lässt er für größere Gruppen befreundete Gitanos auftreten. Guerrero lebt schon seit 20 Jahren in Castellar. Auf die Idee mit dem Flamenco kam er erst vor kurzem, als die Touristen kamen. "Früher, bevor sie alles renoviert haben, war es schöner hier", sagt er. Und schiebt dann hinterher: "Naja, eigentlich ist es jetzt natürlich schöner, aber früher hatte Castellar mehr Charme."

Beiträge
Es gibt noch keine Beiträge zu diesem Thema.
Reiseführer | Wanderführer | E-Books | Apps | Shop | Reiseportal | Verlag
Reise-News | Reiseforum | Reise-Links | Reisetipps | Reisereportagen | Unterkünfte
Kontakt | Datenschutz | Impressum
© 1997–2022, Michael Müller Verlag GmbH, Gerberei 19, 91054 Erlangen.
Alle Rechte vorbehalten. Alle Angaben ohne Gewähr.