Der Riesenkaugummi am Haken
Die Schauproduktionen im Bonscheladen
+++ Steckbrief +++
WO? Friedensalle 12 +++ S1/11 Hamburg-Altona, dann eine Station mit Bus 115/150 (»Fabrik«) oder 8 Minuten zu Fuß via Ottenser Hauptstraße und Bahrenfelder Straße +++
WANN? Die Schauproduktionen finden von Dienstag bis Samstag jeweils um 16.15 Uhr und am Samstag um 14.30 Uhr statt. Der Laden hat diese Öffnungszeiten: Di–Fr 11–18 Uhr, Sa bis 16 Uhr +++ bonscheladen.de +++
WIE LANGE? Etwa 30 bis 50 Minuten +++ Wichtig! Wenn die Luftfeuchtigkeit sehr hoch ist (schwüle Witterung, warme Regentage), fallen die kleinen Shows leider aus, weil die Bonbons zu schnell klebrig werden +++
WIE
VIEL? Eintritt freiI! Doch man kann nicht anders, als mindestens ein Bonbontütchen mitzunehmen… +++
An diesem Samstagnachmittag
herrscht schon eine Viertelstunde zuvor leichter Andrang. Vor einer halbhohen Glasscheibe, die schützt, aber nicht abweisend wirkt, warten Kinder und ihre Eltern. Dahinter steht Uwe Sponnagel. Der Gründer des Lädchens, das mich an einen Kaufmannsladen aus meiner Kindheit erinnert, hat starke Gummihandschuhe angelegt. Die Temperatur der Wärmeplatte hinter der Glasscheibe beträgt 80 Grad. »Da kann man Eier braten«, sagt er und erklärt, wie wichtig die Hitze für die gallertartige Zucker-und- Sirup-Masse ist, die er knetet und mit einer großen Schere zerschneidet. Einige Minuten vorher hat er sie mit Bio-Aroma und Zitronensäure versehen und gekocht. »Wie entstehen eigentlich Bonbons?« war die Ausgangsfrage für meine Kinder und mich gewesen, um nach Ottensen in die Friedensallee zu pilgern. Wir haben einen guten Platz ergattert und schauen zu.
Hinter Sponnagel
sind zwei Bonschemacherinnen mit neuen Zuckerteppichen beschäftigt. Die zusammengefalteten Massen sehen aus wie dicke Plastikplanen. Eine erinnert an einen verkohlten Pfannkuchen: »Das macht das Schwarze-Johannisbeer-Aroma!« Sponnagel zieht ihn immer wieder über einen großen Wandhaken: »So wird Luft in die Masse gearbeitet. Sogar die Farbe verändert sich.« Es wirkt, als würde ein Riesenkaugummi mehrmals durchgewalkt. Einer der Zuschauer blickt einen anderen an und sagt: »Da brauchst du nicht mehr in die Muckibude!« Tatsache, es ist auch eine körperliche Anstrengung, Bonbons herzustellen! Danach geht es schnell, damit die Zuckerteige nicht kalt werden. Sponnagel rollt sie ineinander, und zwar so, dass ein Anker sichtbar wird, den ein roter, warmer »Pudding« umschlingt. Dann zieht er an der Rolle, macht sie dünn – und hackt. Sonderlich viele Erklärungen gibt er nicht mehr ab, denn jetzt ist Konzentration gefragt. Sonst werden die Bonbons zu schief und krumm … Wenn alles klappt, entsteht aus dem »zusammengerollten Teppich« eine Bonbonschlange von sage und schreibe 80 Metern! Das sind umgerechnet etwa 12 Kilo »Bonsche«, wie Bonbons in Norddeutschland gern genannt werden.
Zuletzt erfolgt
eine Qualitätskontrolle durch die Kinder, bei der die Erwachsenen ebenfalls etwas abbekommen. Mein Fazit: Es schmeckt warm, frisch und sehr lecker. Ganz anders als die Bonbons aus dem Supermarkt (die meist einzeln in Plastik verpackt sind)! Die Kinder genießen und sagen nichts. Ein gutes Zeichen, wie ich finde. Im Laden gibt es mehr als 70 Bonschesorten. Sie sind nach selbst kreierten Rezepten entstanden, manche haben sogar ein Chili-, Pfeffer- oder Salz-Aroma. Gearbeitet wird mit Bio-Sirup und Bio-Zucker. Die »Hamburger Hafenbonsche«, deren Herstellung gerade noch in uns nachwirkt, sind mit Abstand die beliebtesten. Ich finde die wilderen Sorten mit roter Grütze oder Mokkaextrakt (Achtung, Koffein!) noch einen Ticken spannender. Die Motive sind ähnlich gewitzt: Selbst ein Segelschiff und die Elphi findet man. Bevor wir den Laden verlassen, schaut mich der Achtjährige an: »Papa, es war keine Sekunde langweilig!« Sein vierjähriger Bruder nickt und deutet vielsagend auf die Kaufmannsgefäße hinter uns. Klar, dass wir zu den kleinen Handschaufeln greifen …
Wenn man schon mal hier ist:
Das sehr kinderfreundliche Ottensen ist ein Erlebnis für sich. Dabei lohnen sich besonders die Straßenzüge um den Alma-Wartenberg-Platz, benannt nach einer Frauenrechtlerin, die sich im Kaiserreich für Kondome einsetzte. Einen richtig guten Kaffee bekommt man im Jö Makrönchen, ein edles Einkaufserlebnis ist im Borboletta garantiert.
Dies ist eine der Entdeckertouren in Hamburg, die außergewöhnlich sind und abseits der Routen stattfinden, aufgeschrieben von Reise- und Kinderbuchautor Matthias Kröner. Der Artikel ist erschienen in Hamburg – mal anders innerhalb der Reihe »mal anders«.