Lesezeit: 1 minEntdeckertouren

Kunst im Untergrund
Unterwegs mit dem Metropolitano de Lisboa

Porträt eines Mannes mittleren Alters mit grau meliertem Haar und Brille. Er trägt ein helles Hemd und lächelt freundlich in die Kamera. Der Hintergrund ist neutral gehalten, was den Fokus auf das Gesicht lenkt. Das Bild wirkt professionell und seriös.
Autor Johannes Beck

+++ Steckbrief +++

WO? Stationen der 4 U-Bahn-Linien findet man fast in der ganzen Stadt (außer im Westen Lissabons). metrolisboa.pt +++ 
WANN? Tägl. von 6.30 bis 1 Uhr nachts +++ 
WIE LANGE? Solange man will +++ Wie viel? Einzelticket 1,85 Euro (gilt eine Stunde lang), 24-Stunden-Karte 7 Euro +++ Wichtig! Alle Fahrkarten müssen auf eine Chipkarte pro Person geladen werden (Viva Viagem, für 0,50 Euro am Automaten oder Schalter). Achtung, in Lissabon fährt die Metro links! +++

Illustration Mirja Schellbach
Illustration Mirja Schellbach

Heute muss ich in den Untergrund.

Denn ich will einige der spannendsten Kunstwerke Lissabons sehen. Rolltreppen bringen mich hinunter zur Station Baixa-Chiado. Hier, am wichtigsten U-Bahnhof der Hauptstadt, wo sich die grüne und die blaue Linie kreuzen, starte ich. Die in elegantem Weiß gekachelten Tonnengewölbe lassen bereits erahnen, warum Lissabons Untergrundbahn als eine der schönsten der Welt gilt. Kein Geringerer als Álvaro Siza Vieira, Portugals meistprämierter Architekt der Neuzeit, hat diese Station gestaltet. Mit der blauen Linie fahre ich erst einmal etwa zehn Minuten Richtung Reboleira in den Nordwesten. Dieser Abschnitt ist der älteste des U-Bahn-Netzes, eingeweiht größtenteils bereits 1959. Die Bahnhöfe wurden damals von der portugiesischen Künstlerin Maria Keil mit einfachen Azulejos verziert, die heute schon wieder fast klassisch wirken.

Buchstabenrätsel – Foto: Johannes Beck
Buchstabenrätsel – Foto: Johannes Beck

Zum ersten Mal verlasse ich die Metro

in Laranjeiras. Hier empfangen mich riesige Orangen auf den Azulejos an den Wänden. Der Lissabonner Künstler Rolando Sá Nogueira (1921–2002) spielt damit auf den Namen der Station (»Orangengärten«) an. Was für eine Wirkung! Die nächste Station Alto dos Moinhos hat Júlio Pomar (1926–2018), einer der bekanntesten Maler Portugals, den berühmten Dichtern seiner Heimat gewidmet. Geradezu genial finde ich seine schlichten, aber treffenden Graffiti zu Fernando Pessoa. Der 1888 in Lissabon geborene und 1935 dort verstorbene Poet hatte seine Werke unter verschiedenen Heteronymen veröffentlicht, also mehrere eigene Autorenpersönlichkeiten dafür erfunden. Auf einem der Bilder bringt Pomar das verblüffend gut zum Ausdruck: Hier kommen gleich drei Pessoas an einem Café-Tisch ins Gespräch. Als ich mich sattgesehen habe, fährt auch schon der nächste Zug. An der folgenden Station Colégio Militar-Luz steige ich direkt wieder aus – und versuche das überdimensionale Buchstabenrätsel zu lösen, das der Künstler Manuel Cargaleiro an den gefliesten Wänden hinterlassen hat. An dieser Stelle sei verraten: Bis heute habe ich es nicht geschafft.

Illustration Mirja Schellbach
Illustration Mirja Schellbach

Mein heutiger Umkehrpunkt ist die

2004 eröffnete Station Alfornelos, wo mich eine nicht minder kreative Gestaltung erwartet: Hier hat Ana Vidigal Viúra vergrößerte Schnittmuster der Zeitschrift Burda auf die Wände gebannt, und bei genauem Hinschauen finde ich deutsche Begriffe wie »Stoffbruch« oder »Faden lauf« auf den Azulejos. Immer wieder ist es für mich faszinierend, wie universell die Burda-Schnittmuster über Sprachgrenzen hinweg funktionieren! Jetzt bin ich schon außerhalb der Stadtgrenze im Kreis Amadora. Mit der nächsten Bahn geht es Richtung Santa Apolónia, zurück zum Zentrum. Eine Zwischenstation lege ich aber noch ein: in der Station Parque. Die belgische Künstlerin Françoise Schein hat sie 1994 komplett neu gestaltet und an der Decke die Erklärung der Menschenrechte verewigt, Buchstabe für Buchstabe, einer auf jedem Azulejo. Illustriert ist das Thema mit Motiven zur Geschichte der Sklaverei, mit Zeichnungen von Schiffen und Landkarten. Damit beende ich vorerst meinen »Museumsbesuch« in der Lissabonner U-Bahn. Aber ich komme wieder, um neue Meisterwerke zu entdecken.

Inspiration Comics – Foto: Johannes Beck
Inspiration Comics – Foto: Johannes Beck

Wenn man schon mal hier ist:

Auch die rote Linie, erbaut zur Weltausstellung 1998, verläuft entlang künstlerischer Höhepunkte: Am besten gefällt mir die Station Olivais mit ihren futuristisch anmutenden Azulejos des Lissabonner Malers Nuno de Siqueira – und Gare do Oriente unter dem Hauptbahnhof: Die graffitiähnlichen, von Comics inspirierten Azulejo-Motive stammen von insgesamt 11 Künstlern, u. a. von Friedensreich Hundertwasser, dessen Bild den Untergang von Atlantis zeigt.

Dies ist eine der Entdeckertouren in Lissabon, die außergewöhnlich sind und abseits der Routen stattfinden, aufgeschrieben von Reisebuchautor Johannes Beck. Der Artikel ist erschienen in Lissabon – mal anders innerhalb der Reihe »mal anders«.

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