WO? Parkeingang Augarten, Obere Augartenstr. 1 +++ U2 Taborstrasse +++
WANN? An
ein bis zwei Samstagen im Monat um 10.30 Uhr +++ whoosh.wien/events/vienna-ugly
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WIE LANGE? Ca. 2,5 Stunden +++
WIE VIEL? 10 Euro +++
mit reflektierenden Signalstreifen kommt auf uns zu. »Hi, I’m Eugene!«, sagt er und ist unser Guide auf dem Vienna Ugly Walk. »Tour« dürfe er das nicht nennen, da hat die Wirtschaftskammer Wien was dagegen. Sogar Strafe musste er dafür schon zahlen. Der Londoner erzählt, dass er seit zehn Jahren in Wien lebt. Vor vier Jahren hatte er zusammen mit Freunden vom Verein space and place beim Eurovision Song Contest und dem ganzen »bad singing« die Idee: »We want to show Vienna also has plenty of bad taste. We look at the loser buildings. It’s a revenge tour!« Eine Retourkutsche für den ganzen Wiener Kitsch, für schön, leiwand, beautiful, für Innenstadt-Disneyland. Dabei gibt es hier auch viel Schiaches! Masochismus wurde sicher nicht zufällig von einem österreichischen Grafen erfunden.
An jedem Gebäude stimmen wir ab: hässlich oder nicht? Der Flakturm der Nazis im Augarten ist »super-macho, aggressive architecture«, findet Eugene. Die Gruppe auch. Vor dem Hintergrund, dass er im barocken Augarten steht, bis vor einiger Zeit nicht gekennzeichnet war als das, was er ist, und heute am Sabbat viele orthodoxe Juden vorbeispazieren, wirkt er noch unmöglicher. Geschichte, Politik, Gentrifizierung, Immobilienspekulation – es geht um viele Themen bei der Führung, an der außer mir nur Locals teilnehmen und sich bei der witzigen Anti-Kitsch-und-Klischee-Veranstaltung amüsieren. Und plötzlich greift selektive Wahrnehmung: Ich lasse meinen Blick schweifen. Wo macht Eugene wohl als Nächstes halt? Am Karmelitermarkt! Das Haus der Zeit in psychedelischen Bonbonfarben ist »public psychoanalysis«. Der Besitzer hat auf der Fassade seine Ex-Freundinnen verewigen lassen. Wir flanieren weiter zu einer Schandtat auf einem Altbau: ein Glasaufbau mit goldenem Plastik- Streifen, der an Donald Trumps Tolle erinnert. Unansehnlich? Die Meinungen sind geteilt. Der Kontrast ist nötig, da ist sich Eugene sicher. Wären alle Häuser hübsch, würde man sie nicht mehr schön finden.
in denen die Ampelkabel verlaufen, sind »very bad design«, superschmutzig und dienen als Hundepissoir. Noch besser, äh grässlicher: »A very loud and proud building« in Weiß, Rot, Grün. Doch das Haus benehme sich ein bisschen wie Orbán: Es will nicht, dass andere reinkommen. Deshalb lässt es auch nicht erkennen, was es eigentlich ist: das ungarische Kulturinstitut. Next: ein Hallenbad in einer Bank – »in Fifty Shades of Grey«. »There are a lot of colours in the world, but Vienna ist not using them!« In London verstünden die Banken die Architektur ihrer Gebäude als Marketing, dies hier sei wie eine Barriere mit den Metallverkleidungen eines Elendsviertels. Dann die grauslichen Nachkriegsbauten – allesamt UNESCO-Welterbe, da an der Ringstraße gelegen – und gegenüber der Media Tower, der aussieht wie »an exploding kebab«. Schließlich das Innovationsministerium – »it looks like a car park in Marrakech« – ein Betonbunker mit ein bisschen Star Trek. Der Walk ist wie Kabarett, das den Finger in die Wunden legt, wo doch der Rest der Stadt (leise depressiven) Schmäh versprüht. Eugene zeigt nicht sweet, sondern salty Vienna. Denn Schönheit ist mitunter langweilig und banal. Hässliches nie.
Vom Johann-Strauß-Denkmal, Endpunkt des Walks, ist es nicht weit zum Café Prückel (Stubenring 24): Melange, Mehlspeisen, Tagblätter, Tafelspitz – alles vom perfekten Ober serviert.
Dies ist eine der Entdeckertouren in Wien, die außergewöhnlich sind und abseits der Routen stattfinden, aufgeschrieben von Reisebuchautorin Judith Weibrecht. Der Artikel ist erschienen in Wien – mal anders innerhalb der Reihe »mal anders«.