On Tour

10.000 Kilometer entfernt von Köln -
Eine Recherche auf der anderen Seite des Erdballs

Manchmal ist kein Umweg zu weit. Ausgerechnet das Kapitel zum Kölner Nachtleben hat unser Autor Andreas Haller in Kuala Lumpur abgefasst. Warum das? Weil es viele Ähnlichkeiten zwischen den zwei K-Städten gibt. Haller philosophiert, schweift ab – und das äußerst witzig. Außerdem trifft er mitten in einer schrägen Bar in Kuala Lumpur wie selbstverständlich – zwei Kölnerinnen.


Manchmal müssen Reisebuch-Autoren einen Umweg wählen, um ans Ziel zu kommen. Ziemlich oft sogar, um genau zu sein. Wobei das »Ziel« in der Regel ein begehrtes Beutestück ist. Und die Beute besteht bei Autoren immer aus einer besonderen Erkenntnis, die anschließend Eingang in ein Buch findet.
Der Umweg, den ich einschlug, während ich für den Stadtführer »Köln« recherchierte, führte mich im letzten Jahr sogar einmal nach Kuala Lumpur. Wer an dieser Stelle beim Lesen ungläubig den Kopf schüttelt, dem muss ich entgegnen, dass für uns Autoren grundsätzlich kein Weg zu weit ist, wenn es darum geht, die Qualität eines Reiseführers zu erhöhen. Und wer mit dem Kopf schüttelt, weil er nicht weiß, wo sich Kuala Lumpur überhaupt befindet (schließlich vertreibt der Michael Müller Verlag keinen Reiseführer, in dem der Ort im Register auftaucht), dem sei gesagt: Kuala Lumpur ist die Hauptstadt von Malaysia und liegt rund 10.000 km von Köln entfernt. Wer beispielsweise vom heute unterirdisch gelegenen römischen Statthalterpalast in Köln, dem Praetoritum, weitergräbt und sich grob gesagt in südöstlicher Richtung orientiert, der wird auf der anderen Seite des Erdballs ungefähr in der Gegend von Kuala Lumpur wieder das Tageslicht erblicken. Aber dies nur nebenbei.


In Kuala Lumpur – oder doch in der Rheinmetropole?

Nachtleben in Köln …
Nachtleben in Köln …

Um ganz ehrlich zu sein, bin ich nicht wegen der Domstadt nach Malaysia geflogen; wie der geneigte Leser scharfsichtig erkennt, wählte ich außerdem die oberirdisch verlaufende Passage. Ich hatte mich einige Wochen im Dschungel auf Borneo herumgetrieben und wollte mich in Kuala Lumpur ein paar Tage erholen. Aber wie das so ist, wenn man zur selben Zeit ein Buch schreibt, weilten in der Hauptstadt von Malaysia meine Gedanken oft in der Rheinmetropole. Das nahm zuweilen paranoide Züge an: Gleichen nicht die beiden gotischen Domtürme aufs Haar den Petronas Towers, die mit 452 m für kurze Zeit einmal das höchste Gebäude der Welt waren? Nun gut, bei näherem Hinsehen geht der Wolkenkratzer wohl eher als Neo-Gotik durch, und stilistisch lehnen sich die Türme stärker an die Sagrada Família in Barcelona als an den Hohen Dom zu Köln an. Zudem wollte der Architekt, dass seine Turmspitzen muslimische Minarette imitieren und weniger christliche Kirchen. Immerhin ist der Islam in Malaysia Staatsreligion. In beiden Städten sind jedoch die »Twin Towers« das unbestrittene Wahrzeichen, das kein anderes Gebäude – Fernsehtürme einmal ausgenommen – an Höhe übertreffen darf.

… oder doch Kuala Lumpur
… oder doch Kuala Lumpur

In vielerlei Hinsicht ist der städtebaulich-strukturelle Gleichklang beider Metropolen unverkennbar. Sowohl Köln als auch Kuala Lumpur sind Millionenstädte, die über einen Flughafen, Hauptbahnhof und sogar einen Hindu-Tempel verfügen. Und weil dieser Befund ein wenig nach oberflächlicher Analyse klingt, hier ein Ausflug in beinah schon esoterische Tiefen: Ist es nicht merkwürdig, dass beide Städte ausgerechnet mit dem gleichen Buchstaben »K« beginnen? In der Rheinmetropole steht dieser gleich für mehrere überaus typische Dinge, unter anderem für Kunst und Kultur, für Kirchen, Karneval und Klüngel. Wäre nicht die japanische Stadt Kyoto bereits Partnerstadt von Köln (sie beginnt sinnigerweise ebenfalls mit einem »K«), dann wäre natürlich Kuala Lumpur, von den Einheimischen kurz »KL« genannt, erste Anwärterin auf den Titel.


Kneipenkultur und Szenetrends: zwei Kölnerinnen in Kuala Lumpur

Der Buchstabe steht aber auch für »Kneipenkultur«. Bekanntlich ist die Domstadt eine Hochburg des Nachtlebens, wobei wir wieder in Kuala Lumpur und bei meiner dortigen Recherche wären. In den Tagen (oder besser: den Nächten) in der malaiischen Hauptstadt trieb ich mich vorzugsweise in irgendwelchen schrägen Bars herum. Unter anderem erhielt ich in diesen Etablissements tiefe Einblicke in die südostasiatische Transvestiten-Szene (allerdings nicht ganz so tief, wie mancher jetzt vielleicht unterstellt). Trotz vieler Gemeinsamkeiten zur Kölner Szene, so ergaben meine sozialpsychologischen Untersuchungen, bestehen auch gravierende Unterschiede. Flugs schrieb ich in einer ruhigen halben Stunde das diesbezügliche Kapitel in meinem Köln-Buch noch einmal neu – wobei jenes leider im Zuge der üblichen Kürzungen vor der Drucklegung wieder aus dem Manuskript gestrichen wurde. Ist vielleicht auch nicht schlimm, zumal ich beim Schreiben jäh unterbrochen wurde. Es war kaum Mitternacht vorbei, als auf einmal zwei junge Frauen hereinkamen und sich an meinen Tisch setzten. Es waren die einzigen freien Sitzplätze in der Bar, in der ansonsten vorzugsweise Lady-boys verkehrten. Ich identifizierte sie als Rucksacktouristen aus dem Westen, und auf Nachfrage stellte sich heraus, dass es sich, erstens, tatsächlich um Angehörige des weiblichen Geschlechts handelte und sie, zweitens, zufällig aus Köln kamen. Natürlich amüsierten sich die beiden herzhaft, als sie von meiner Beschäftigung erfuhren. Das nun folgende anregende Gespräch schwenkte mehrfach von Kuala Lumpur zur Stadt am Rhein und wieder zurück. Das Wichtigste aber war, dass die zwei mich mit allen aktuellen Szenetrends Kölns vertraut machten.


Die Szene flieht vor Jugendlichen aus dem Bergischen Land

Im Grunde bin ich kein großer Partygänger. Die Nächte in Kuala Lumpur waren diesbezüglich eher die Ausnahme als die Regel. Das Buchkapitel über das Kölner Nachtleben hatte ich demzufolge stets vor mir hergeschoben. Daher zückte ich wieder meinen Stift und notierte mir die angesagtesten Locations, von denen mir die zwei neuen Bekannten aufgeregt berichteten. Leider fiel auch hier später vieles dem Kürzungsdiktat zum Opfer; insofern nicht weiter tragisch, weil bekanntlich nichts so schnelllebig ist wie die Partyszene. Denn sobald Jugendliche aus dem Bergischen Land am Wochenende die einstigen Insider-Tipps zu erobern beginnen, nimmt die Szene Reißaus und sucht sich andere Orte. Auch diese Information erhielt ich von meinen beiden netten Kölnerinnen.

Die Tage und Nächte in Kuala Lumpur haben in mehrfacher Hinsicht den Köln-Reiseführer modifiziert. Oder anders gesagt: Manch Beutestück, welches nun das Buch für künftige Zeiten veredelt, ergatterte ich fern der Stadt am Rhein.
So ist das nun mal, manchmal ist eben kein Umweg zu weit.

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