On Tour

Das Handbuch der verschwundenen Orte

Das Persönliche und das Subjektive sind zwei der Stärken der Reiseführer des Michael Müller Verlags. In der zweiten für diesen Newsletter verfassten Kolumne erzählt Ralf Nestmeyer – sehr persönlich und subjektiv –, wie es ihm mit seinem Nürnberg-Reiseführer über 20 Jahre hinweg ergangen ist. Die erste Auflage liest sich für ihn inzwischen wie ein Handbuch der verschwundenen Orte.


Es gibt Momente, in denen wird man unverhofft ein wenig wehmütig. Oft ist es nur ein marginales Ereignis, das einen für kurze Zeit aus dem Alltag reißt und unvermittelt mit einem Aspekt der eigenen Vergangenheit konfrontiert. Es kann passieren, wenn man sich beispielsweise alte Fotos ansieht oder nach langer Zeit an einen Ort zurückkehrt, den man mit einem bestimmten Erlebnis oder mit einem besonderen Ereignis verbindet.

Durchs Altstadtviertel der fränkischen Metropole. (Foto: Ralf Nestmeyer)
Durchs Altstadtviertel der fränkischen Metropole. (Foto: Ralf Nestmeyer)

Mich überkam dieses Gefühl vor ein paar Tagen, als ich ein druckfrisches Exemplar meines Nürnberg-Stadtführers im Briefkasten fand und es auspackte. Dieses erste Blättern im eigenen Buch ist für einen Autor stets ein besonderer Moment. Der Geruch des neugedruckten Buches steigt in die Nase, man studiert das Cover, sucht den eigenen Namen – ja, Autoren sind manchmal selbstverliebt! – und saugt diesen Augenblick regelrecht in sich auf.
So erging es mir bisher bei jeder Buchveröffentlichung und jeder Neuauflage, doch dieses Mal kam ein besonderer Wehmut-Effekt hinzu. Denn mein Nürnberg-Cityguide ist für mich kein x-beliebiges Buch, kein x-beliebiger Reiseführer: Dieses Buch markiert den Anfang meiner »Autorenlaufbahn«.


20 Jahre, 9 Auflagen, 50.000 Bücher

Der unübersehbare Hotspot Nürnbergs, die Burg. (Foto: Ralf Nestmeyer)
Der unübersehbare Hotspot Nürnbergs, die Burg. (Foto: Ralf Nestmeyer)

Selbst in den kühnsten Träumen hätte ich es mir 1994 nicht ausmalen können, dass dieses Nürnberg-Buch den Auftakt zu einer bis heute andauernden, sehr intensiven Beziehung zum Michael Müller Verlag bedeutete. Mehr als ein Dutzend weiterer Reiseführer über meine europäischen Lieblingsregionen – Südfrankreich und Südengland – sowie über Paris und London habe ich seither für den Verlag verfasst. (Ganz »nebenbei« folgten in den nächsten Jahren noch mehrere Sachbücher für andere Verlage.)
Trotz dieser zahlreichen Veröffentlichungen liegt mir mein »Nürnberg MM-City«, der jetzt in der 9. Auflage erschienen ist, besonders am Herzen und ich freue mich darüber, dass das Buch seit der Erstveröffentlichung mittlerweile eine Druckauflage von über 50.000 Exemplaren erreicht hat. Zweifellos kann man den Nürnberg-Stadtführer als einen Bestseller bezeichnen, zudem dürfte es sich wohl um eine der erfolgreichsten Nürnberg-Veröffentlichungen handeln, die je erschienen ist.


Tempi passati – in Nürnberg wie auch im Buch

Nürnbergs einziges Zwei-Sterne-Restaurant. (Foto: Ralf Nestmeyer)
Nürnbergs einziges Zwei-Sterne-Restaurant. (Foto: Ralf Nestmeyer)

Soviel zur Selbstverliebtheit! Was wesentlich wichtiger ist: Zwischen der 1. und der 9. Auflage des Reisehandbuchs liegen 20 Jahre. 20 Jahre, in denen sich im Nürnberg-Tourismus und in der Gastronomie unheimlich viel verändert hat. Nun, die Burg stand schon damals, aber das Neue Museum sowie das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände waren nicht mehr als kühne Wunschgedanken. Und wer hätte sich schon vorstellen können, dass man die Stadt einmal mit dem Segway erkunden kann?
Und so wie sich Nürnberg verändert hat, so hat sich auch mein Stadtführer mehrfach gewandelt und erscheint jetzt in der MM-City-Reihe mit Stadtrundgängen und Einkaufstipps. Zudem kann man sich den kompletten Reiseführer als App auf das Smartphone laden und sich durch die Stadt navigieren lassen.
Wenn man die erste und die aktuelle Auflage miteinander vergleicht, so finden sich ein paar Textpassagen, die unverändert geblieben sind. Im Layout und in der Adressenauswahl sind die Veränderungen am offensichtlichsten. Stellenweise liest sich die Erstauflage wie ein Handbuch der verschwundenen Orte. Damals gab es noch das Atlantik- wie auch das Atrium-Kino, und das DB-Museum hieß noch bieder »Verkehrsmuseum«. Vom Memorium Nürnberger Prozesse war noch keine Rede, dafür tanzte man in einer Szenedisco, dem Boot, am Hafen. Im Café Kröll wurden noch Kuchen serviert, im Bahnhof existierte das Café Steiner mit Jugendstilflair und das Pêle-Mêle lockte mit seinem Garten an der Pegnitz. Auch das Ahab, das Marmaris und das Café Central sind Geschichte – Tempi passati.


Seit 20 Jahren in den »Empfehlungscharts«

Das Palais Schaumburg – ebenfalls seit 20 Jahren in den Empfehlungscharts. (Foto: Ralf Nestmeyer)
Das Palais Schaumburg – ebenfalls seit 20 Jahren in den Empfehlungscharts. (Foto: Ralf Nestmeyer)

Gleichwohl gibt es ein paar Klassiker, die sich von der 1. bis zur 9. Auflage dauerhaft in den »Empfehlungscharts« wiederfinden: Andree Köthe rührte schon 1994 in den Kochtöpfen seines – damals noch sternelosen – Essigbrätleins, der Gasthof Braun leistete kulinarische Pionierarbeit im Stadtteil Gostenhof und im Balazzo Brozzi krabbelten die Kleinkinder schon vor 20 Jahren zwischen den Plüschsofas herum.
Da bleibt mit Spannung abzuwarten, welche Sehenswürdigkeiten und welche Restauranttipps in der 18. Auflage präsentiert werden, deren Erscheinen der Verlag schon jetzt als Sonderausgabe für das Jahr 2034 fest eingeplant hat …

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