Lesezeit: 1 minReportage

Auswanderer-Serie - Teil 1: Lost in Lissabon
In Lissabon lebende Deutsche und ihre geheimen Orte

Michael Müller kennt Portugal wie seine Westentasche. Nicht nur, dass er einen Reiseführer über das Land geschrieben hat (21. Auflage!), er wollte sogar an die Algarve auswandern. Für diese und die nächsten Ausgaben unseres Newsletters hat unser Chef ein kleines Online-Projekt angestoßen. Darin porträtiert er in Lissabon lebende Deutsche und erzählt von ihren Lieblingsorten, die oft abseits der touristischen Zentren liegen.


Zur Person

Eine Frau spielt am Strand Geige, mit dem Meer im Hintergrund. Der Himmel ist blau und sonnig. Auf dem Bild sind Text in portugiesischer Sprache zu sehen, vermutlich Werbung für Sprachkurse oder ähnliches. Oben rechts befindet sich eine Telefonnummer.
Dana Lejb (Foto: Dana Lejb)

Dana Lejb, geboren 1965 in Montevideo (Uruguay). Ihre Eltern stammten aus Berlin bzw. dem ukrainischen Lemberg und überlebten den Holocaust, weil sie 1939 als Kinder nach Südamerika ausreisen konnten. Als Dana eineinhalb Jahre alt war, kamen beide Elternteile bei einem Autounfall ums Leben, ein Onkel kümmerte sich um das kleine Mädchen. Im Alter von fünf Jahren folgte der nächste Schicksalsschlag: ihr Onkel wurde vor ihren Augen auf der Strandpromenade von Montevideo überfahren. Danach lebte Dana im Waisenhaus, bis sie von einer gebürtigen Berlinerin adoptiert wurde und mit neun Jahren nach Minden/Westfalen umsiedelte. Es war im Rückblick die unglücklichste Zeit ihres Lebens, obwohl sie ein Stipendium im Internat des Grabbe Gymnasiums Detmold erhielt und intensiv an der Geige ausgebildet wurde. Nach dem Abitur jeweils kurze Stationen in Hamburg, Basel, Cannes und Barcelona.
1986 heiratete Dana Lejb in München. Einer anderen Liebe wegen zog sie am 31. März 1996 nach Lissabon. An die Ankunftszeit 12.15 Uhr kann sich Dana noch genau erinnern. Ihren ersten Job hatte sie bei einem Sprachinstitut, das speziell für Firmenmitarbeiter Deutschkurse anbot. Später war sie Sprachlehrerin am Goethe-Institut und gab auch Privatunterricht. Ihre Lebenssituation in den letzten Jahren war von fürchterlicher Armut gezeichnet, weil das Goethe-Institut keine Lehrkräfte mehr ohne Sprachzertifikat beschäftigen durfte. Phasenweise und provisorisch bei Freunden Unterschlupf suchend, lebte sie obdachlos oder monatelang ohne Strom, weil sie die Rechnungen nicht begleichen konnte. Die uralte Brüderschaft des Bartholomäusvereins (gegründet im Jahre 1290!), die sich um mittellose Deutsche im Ausland kümmert, hätte gerne eine »Rückführung« nach Deutschland unterstützt, aber Dana kann Lissabon nicht loslassen …


Dana Lejbs Lissabonner Lieblingsorte

Eine Gruppe von drei Personen betrachtet eine monumentale Brunnenanlage im Freien. Der Brunnen ist reich verziert mit Skulpturen und befindet sich inmitten eines gepflasterten Platzes. Im Hintergrund sind historische Gebäude mit bunten Fassaden zu sehen, die auf einen europäischen Ort hindeuten. Die Szene vermittelt den Eindruck einer entspannten Besichtigungstour.
Ein Denkmal und ein Schrein für einen Tuberkulose-Arzt (Foto: Michael Müller)


Denkmal des Arztes Dr. Sousa Martins (1843-1897), der in Portugal wie ein Heiliger verehrt wird und sich besonders dem Kampf gegen Tuberkulose verschrieben hatte.
Adresse: am südlichen Ende des Campo dos Mártires da Pátria, an dem auch die deutsche Botschaft residiert.
Die Portugiesen sind noch ein sehr gläubiges Volk. Jeden Abend stehen Angehörige der Patienten aus dem angrenzenden Krankenhaus am Denkmal, beten und zünden eine Kerzenspende im schwarzen Stahlschrank an, der als Windschutz dient. Im Kiosk können Kerzengebinde gekauft werden, und unzählige Votivtafeln und andere Gegenstände bezeugen die Rettung aus auswegslosen Lebenslagen und Heilungen.

Alt-Text:

Ein mehrstöckiges, helles Gebäude mit vielen Fenstern und einem kleinen Balkon dominiert die Szene. Vor dem Haus befindet sich ein gepflegter Gehweg und einige Pflanzen in Töpfen. Ein grauer Pfeiler steht im Vordergrund, verziert mit Schildern in einer unbekannten Sprache. Die Aufnahme wurde an einem sonnigen Tag aufgenommen, wobei Bäume im Hintergrund Schatten werfen.
In einer ehemaligen Bankiersvilla ist der Galizische Kulturverein untergekommen (Foto: Michael Müller)

Centro Galego (Galizischer Kulturverein), in der Rua Júlio de Andrade, dem vielleicht stimmungsvollsten Sträßchen der Stadt. Gleich daneben, rechts neben der ehemaligen Bankiersvilla, in welcher der Kulturverein untergebracht ist, steht das unbewohnte »Geisterhaus«, das als Kulisse zu der gleichnamigen Verfilmung des Romans von Isabel Allende diente.
Im Kulturzentrum wird nicht nur galizischer Tanz gelehrt, sondern auch das Musizieren mit dem Dudelsack (Gaita). Die ersten »Sackpfeifer« waren übrigens die Hethiter im Jahre 1200 v. Chr.

Ein großes, klassizistisches Gebäude mit einem Balkon steht inmitten von Bäumen und Büschen. Die Fassade ist weiß mit rosa Akzenten versehen. Vor dem Haus befindet sich ein Kiesweg, der in die Tiefe führt. Das Bild vermittelt einen Eindruck von Ruhe und alter Eleganz.
Das Geisterhaus aus Allendes Weltbestseller (Foto: Michael Müller)

Die Büste vor der Villa zeigt den letzten Besitzer und Stifter des Centro Galego, einen geborenen Galizier. Er war gleichzeitig Inhaber der ältesten, noch heute existierenden europäischen Buchhandlung (Libraria Bertrand/Chiado, Rua Garrett 73). Sein Vermögen machte er allerdings mit Ölgeschäften.
Im Nebengebäude ist ein öffentliches Café untergebracht mit Gartenbestuhlung. Zur Mittagszeit bekommt man hier preiswerte Tagesgerichte in netter Umgebung.

Ein Park mit einem gepflegten Weg schlängelt sich leicht bergauf. Im Vordergrund steht ein großer Baum mit einer Laterne daneben, während im Hintergrund Menschen spazieren gehen oder auf Bänken sitzen. Eine Stadtlandschaft ist in der Ferne sichtbar. Die Szene vermittelt eine ruhige und entspannte Atmosphäre an einem sonnigen Tag.
Im stimmungsvollen Jardim do Torel hat man einen tollen Ausblick auf das Stadtviertel Baixa (Foto: Michael Müller)

Jardim do Torel, stimmungsvolle, kleine Parkanlage mit altem Baumbestand oberhalb des Zentrums mit tollem Ausblick über das Stadtviertel Baixa zum Rio Tejo. Herr Torel war im 18. Jahrhundert der Chef der Zollbehörde, damals anscheinend ein lukratives Amt.
Über eine kurze Treppe gelangt man hinunter zu einem großzügigen Brunnen, der im August zu einer Strandszene mit Liegestühlen und einer Sandaufschüttung umgestaltet wird (Praia do Torel).

Eine hohe Mauer ist mit üppigem Grün bewachsen und mit farbenfrohen Graffiti bedeckt. Darunter sind abstrakte Formen, Schriftzüge und stilisierte Gesichter zu erkennen. Im Hintergrund ragen Bäume in einen blauen Himmel empor. Die Szene vermittelt einen Eindruck von urbanem Verfall und kreativem Ausdruck.
Calçada do Lavra, die Vorzeigegasse der Lissabonner Graffitikünstler (Foto: Michael Müller)

Besonders die Kinder schätzen dann das Plantschen im seichten Wasser, auch Duschen sind vorhanden. Der Ab- und Aufstieg führt an der Vorzeigegasse der Lissabonner Graffitikünstler (Calçada do Lavra) und an der Standseilbahn Ascensor do Lavra entlang. Geöffnet ist der Park von 7 bis 21 Uhr, ein Securitas-Wachmann sorgt für eine unbekümmerte Visite.

Garten des Goethe-Instituts, ein traumhafter Garten mit jahrhundertealtem Baumbestand. Der angeblich schönste Garten eines deutschen Kulturinstituts liegt zwar in Mumbai, aber der in Portugals Hauptstadt steht dem auf dem indischen Subkontinent bestimmt nicht wesentlich nach. Ein Besuch lohnt sich alleine schon wegen der preiswerten, appetitlichen Menüs zur Mittagszeit (Mo-Sa); jeweils ein Fleischgericht und ein vegetarisches stehen zur Auswahl. Auf die leckeren, selbstgemachten Kuchen (Zitronentarte) sollte man zum Kaffee auf keinen Fall verzichten. Die Familie Hillário von den Kapverdischen Inseln ist Betreiber des Kiosks. Meist bedient die 21-jährige Tochter Monika, deren wallende Haarpracht diejenige der Musen des französischen Südseemalers Gauguin noch übertrifft. Adresse: Campo Mártires da Pátria 37.

Hotel Avenida Palace, eines der ältesten Luxushotels der Stadt, direkt rechts neben dem Rossio-Bahnhof. Im üppigen Foyer kann man an Dienstagen und Donnerstagen ab 19 Uhr einem anspruchsvollen Klavierkonzert lauschen; es gibt nicht einmal einen Konsumzwang, auch internationale Zeitungen liegen aus. Dana Lejb liebt diesen Ort, auch um sich im Winter ein wenig aufzuwärmen.

Ein farbenfrohes Wandgemälde zeigt einen Mann mit Hut, der an einem Tisch sitzt und etwas schreibt. Er trägt eine dunkle Hose und Hemd. Über ihm steht in großen Buchstaben "Do Great Things". Das Bild wirkt künstlerisch und inspirierend.
Ein Wandgemälde zu Ehren des Nationaldichters Fernando Pessoa (Foto: Michael Müller)

Teatro Nacional de São Carlos, es ist das Opernhaus von Lissabon und liegt in der Oberstadt, dem Chiado. Im prunkvollen Inneren werden nicht nur Opern, sondern auch regelmäßig Musikkonzerte aufgeführt. In den Genuss von kostenlosen Darbietungen kann man im Juli auf dem dann meist hoffnungslos überfüllten Platz davor gelangen.
Donnerstags um 18 Uhr kann man – ebenfalls kostenlos – im Salon Nobre kleine Quartett- oder Flötenkonzerte hören. Außerdem bekommt man eine Stunde vor einer großen Aufführung übrige Restkarten für günstige 10 bis 20 Euro. Adresse: Rua Serpa Pinto 9.
Übrigens liegt gegenüber dem Teatro das Geburtshaus des Nationaldichters Fernando Pessoa. Die Glocken der Kirche am Platz, deren Schläge zu jeder vollen Stunde den Stadtlärm mit ihrem Glockenschlag übertönen, nannte Pessoa die Glocken »seines Dorfes«.

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