Nachhaltig unterwegs

Teil 4: Kárpathos
Der komplizierte Einklang von Dorfleben und Emanzipation

Unsere Autorinnen und Autoren sind bekannt dafür, dass sie tief recherchieren und ihre Reisegebiete wirklich erkunden. Das trifft auch auf Antje und Gunther Schwab zu, die schon sieben Reiseführer für uns verfasst haben. Diesmal haben sich die zwei Reisejournalisten auf Kárpathos umgesehen und erzählen von einer nachhaltigen Tour, die das Dorfleben und die Emanzipation im abgelegenen Inselnorden begreifbar macht. Es geht um Ziegenleder, ein Windmühlenviertel und eine Nudelspezialität, an der sich die beiden – mit einiger Mühe – selbst versuchen …

Energisch schüttelt Evangelía Agapíou den Kopf. Nein, einfach sei es nicht, das ganze Jahr auf Kárpathos zu leben! Schon gar nicht im abgelegenen Norden der Insel, wo es nur das Bergdorf Ólympos und seinen Hafen Diafáni gibt. Trotzdem würde sie niemals woanders wohnen wollen. Hier seien die Traditionen erhalten geblieben wie in kaum einer anderen Region in Griechenland – auch wenn Evangelía wie alle anderen Frauen ihrer Generation lieber in Jeans und T-Shirt als in Tracht herumläuft …

Evangelía Agapíou - die Frau für nachhaltige Touren im Inselnorden
Evangelía Agapíou - die Frau für nachhaltige Touren im Inselnorden (Foto: Antje und Gunther Schwab)

Nachhaltigkeit und das große Geld

Evangelía hat vor einiger Zeit in Diafáni die Ein-Frau-Agentur Ecotourism Kárpathos gegründet. Nachhaltigkeit ist der außerordentlich naturverbundenen jungen Frau wichtig. So möchte sie, dass man als Besucher das Leben in ihrer Heimat wenigstens ein bisschen versteht – und nicht nur für ein paar pittoreske Fotos und einen schnellen Kaffee von den Badeorten im Süden und der Inselmitte nach Ólympos kommt. Leider höre man von verbitterten Olymbiten immer wieder die Worte „Wir sind wie exotische Tiere im Zoo“. Und es ist ja auch so: Mit dem malerischen Ólympos wirbt die Tourismusbranche auf Kárpathos. Das große Geld wird aber anderswo auf der Insel verdient.

Das malerische und traditionelle Bergdorf Ólympos
Das malerische und traditionelle Bergdorf Ólympos (Foto: Antje und Gunther Schwab)

Die Teile der Tracht

Wir haben uns mit Evangelía und einem Urlauberpaar am Parkplatz vor dem Dorf getroffen. Dort, wo die Autos abgestellt werden und man nur zu Fuß oder mit dem Esel durch die Gassen kommt. Giulia und Marco aus Padua sind zum ersten Mal auf Kárpathos und wollen mit Evangelía eine geführte Tour durch Ólympos unternehmen.
Schon auf den ersten Schritten begegnen wir älteren Frauen in der Tracht, die schon seit Menschengedenken getragen wird. Eine von ihnen ist Sofía, deren Haus wir betreten. Geduldig steht sie still, damit Evangelía erklären kann, woraus die Kleidung besteht: ein weißes Ge­wand mit hand­be­stick­ten Bor­ten an Steh­kra­gen, Saum und Bünd­chen und eine blumenver­zierte Schürze. Darüber trägt sie einen grau­blauen Man­tel, wie­der von Borten gesäumt. Stiefel aus braunem Ziegenleder reichen fast bis an die Knie.
Zum Glück, lacht Sofía, haben wir Olymbitinnen dann auch noch unser Kopftuch. Als sie es lüftet, wird klar, was sie meint. Schließlich werden so ihre lan­gen grauen Zöp­fe verdeckt – das mit Blumenmuster verzierte schwarze Mandíli lässt sie jünger erscheinen.

Kurz nach dem Foto erklärt Sofía unserer Autorin die Tracht auf Kárpathos
Kurz nach dem Foto erklärt Sofía unserer Autorin die Tracht auf Kárpathos (Foto: Antje und Gunther Schwab)

Mandelgebäck und Ziegenleder

Ausgestattet mit leckerem Mandelgebäck, das uns Sofía trotz aller Proteste eingepackt hat, ziehen wir durch die Hauptgasse weiter. Nächster Halt ist beim Schuhmacher Jánnis. Schon dessen Uropa, Großvater und Vater seien alle Schuster gewesen, erzählt Evangelía. Nun sei er wohl der letzte, der die traditionellen Frauenstie­fel, die wir schon bei Sofía gesehen hatten, noch in Hand­arbeit her­stel­le und re­pa­rie­re.
40 Ar­beits­stunden sind da­zu nötig. Das helle Ziegen­leder da­für stammt von kar­pa­thio­ti­schen Ziegen, und selbst­ver­­ständ­lich er­ledigt Jánnis das Ger­ben selbst. Die Stie­fel­spit­ze der Schu­he wird mit brau­nem, ro­tem oder schwar­zem Le­der ab­ge­setzt und mit far­bi­gen Zier­­näh­ten verschönert.

40 Arbeitsstunden sind nötig, um die Stiefel aus Ziegenleder herzustellen
40 Arbeitsstunden sind nötig, um die Stiefel aus Ziegenleder herzustellen (Foto: Antje und Gunther Schwab)

Ein Holzboden, auf dem Babys liegen

Vorbei an mehreren kleinen Souvenirläden kommen wir zu dem von Marína. Stolz öffnet sie uns ihr Wohnhaus, das eigentlich nur aus einem einzigen hohen Raum besteht. Zentra­les Element ist das Soufá, ein etwa zwei Meter brei­tes Holz­po­dest, zu dem drei Stu­fen hinaufführen. In der Regel, so erklärt Evangelía, dient das Soufá allen Mitgliedern der Familie zum Schlafen. Manche Eltern ziehen sich auch auf das an einer Seite über dem Soufá gelegene Panosoúfi zurück.
Diesen zweiten Holzboden erreicht man mittels zwei weiterer Stiegen. Babys legt man hier in ein großes Tuch, das mit Schnüren an ei­nem Deckenbalken befestigt wird. Aber jeden Morgen, meint Marína mit gequältem Lächeln, beginnt dann das große Aufräumen. Die Matratzen und Bett­decken müssen zusammengerollt werden, weil der Raum tagsüber als Aufenthaltsbereich genutzt wird.
Und schon ist sie in einem kleinen Anbau verschwunden, um in ihrer Küche einen Kaffee für uns zuzubereiten, den wir auf einer Holzbank genießen.

Emanzipation hin und Moderne her

So gestärkt erreichen wir den trapezförmigen Dorfplatz und die Pfarrkirche. Der Glockenturm ist durch ein bunt bemaltes Re­lief der Got­tes­­­mut­ter als Olymbitin in tra­di­tio­nel­ler Tracht geschmückt.
Im Innern nimmt einen der vollständig ausgemalte und mit Ikonen geschmückte Raum sofort gefangen. An den Wänden sind kaum 30 Holzstühle fest angebracht. Viel zu wenige für alle Besucher des Gottesdienstes, wie Evangelía erklärt. Nur Män­­ner lehnen darin. Die Frauen stehen, Emanzipation hin und Moderne her, dem Haupt­­­ein­gang ge­genüber in einem gesonderten Kirchenbereich.

Das Meer, eine Windmühle und kreisrunde Brote

Weiter geht die Tour mit atemberaubenden Blicken aufs Meer und die Westküste von Kárpathos. Unter uns liegt die Schu­le, die heute nur von etwa zehn Kindern be­­sucht wird. Aufgrund fehlender Einnahmequellen wandern immer mehr junge Bewohner von Ólympos und Diafáni ab. Sich auf den kargen Feldern zu plagen wie die Altvorderen, ist für sie keine Alternative.
Im malerischen Windmühlenviertel haben wir die Gelegenheit, eine der wenigen noch intakten Mühlen zu besichtigen. Und weil der rich­tige Wind weht, nicht zu schwach, vor allem aber nicht zu stark, dreht sich quietschend das große Rad. Ganz in der Nähe feuert gerade Kalliópi mit tro­cke­nen Olivenbaumzweigen einen der zahlreichen gemauerten Steinöfen an. Sie sind überall im Dorf verstreut. Auf einer langen Palette stehen Körbe mit riesigen kreisrunden Broten. Evangelía erzählt uns, dass früher alle Frauen in Ólympos und Diafáni so ihre Brote gebacken haben. Mehrere Familien eines Viertels teilten sich einen Backofen.

Nur noch wenige Mühlen sind im Windmühlenviertel intakt
Nur noch wenige Mühlen sind im Windmühlenviertel intakt (Foto: Antje und Gunther Schwab)


Heute kaufen die meisten Familien das Brot den wenigen semiprofessionellen Bäckerinnen wie Kalliópi ab. Sie setzt nach alter Tradition einen Teig aus Weizen- und Gerstenmehl, Wasser, Sauerteig und Gewürzen an.

Kalliópi ist eine der letzten semiprofessionellen Bäckerinnen in Ólympos
Kalliópi ist eine der letzten semiprofessionellen Bäckerinnen in Ólympos (Foto: Antje und Gunther Schwab)

Karpathiotische Nudelspezialität

Hungrig geworden kommen wir zur nächsten Aktivität, dem olymbitischen Kochkurs. Evangelía führt uns zu ihrem Haus neben der familieneigenen Kapelle. Marco, ein Pastafan der verschärften Sorte, strahlt schon über das ganze Gesicht. Es soll Makkaroúnes geben, die karpathiotische Nudelspezialität.
Aus Mehl und Wasser stellen wir einen geschmeidigen Teig her, den wir in kleine Portionen teilen. Daraus formen wir dünne Teigwürstchen. Nun kommt der schwierigste Teil: Wir ziehen eins nach dem anderen mit drei Fingern zu uns her und lassen es wieder nach vorne schnalzen, damit die muschelartige Nudelform entsteht. Mist, da ist schon wieder eines auf dem Boden gelandet!
Es gibt viel Gelächter und einen Wettbewerb, wer die schönsten schafft – Evangelía natürlich! Aber egal! Am Ende schmecken unsere Makkaroúnes, optisch perfekt oder nicht, mit gebratenen Zwiebeln und viel geriebenem Käse vorzüglich.

Eine karpathiotische Nudelspezialität vor beeindruckender Kulisse
Eine karpathiotische Nudelspezialität vor beeindruckender Kulisse (Foto: Antje und Gunther Schwab)

Reisepraktische Tipps

Der Preis für eine zweistündige Dörfertour beträgt pro Person 20 €, der Kochkurs wird mit 40 € berechnet.
Evangelía Agapíou bietet mit ihrer Agentur aber noch viel mehr, auch für Natur- und Wanderfreunde. Unterstützt wird sie dabei von ihrem Vater Minás, einem leidenschaftlichen Botaniker. Im März und April, wenn auf Kárpathos alles grünt und blüht, führt er zu Plätzen mit endemischen Pflanzen, insbesondere Orchideen. Im Früh­ling und im Herbst unternimmt Evangelía Bird­watchingtrips, von Juni bis Oktober besteht zudem die Mög­lich­keit, abends vom Boot aus Eleonorenfalken bei der Rückkehr zu ihren Nestern zu be­obachten.
Besuche bei einem Imker, Wandertouren im unberührten Norden der Insel, Teil­­nahme an der Olivenernte, ein­tä­gi­ge oder mehrtägige Touren mit dem Minivan ... Evangelía lässt sich ganz auf die Wünsche ihrer Kunden ein. Infos unt­er www.ecotourism-karpathos.com, Tel. 6949935881.

Auch Birdwatchingtrips sind bei Ecotourism Kárpathos möglich
Auch Birdwatchingtrips sind bei Ecotourism Kárpathos möglich (Foto: Antje und Gunther Schwab)

Passend dazu