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»Abseits des touristischen Mainstreams.«
5 Fragen an Stephanie Aurelia Staab

Der Odenwald ist den meisten Deutschen ein Begriff. Doch wussten Sie, dass dort drei UNESCO-Welterbestätten weit in die Geschichte zurückreichen: zu den Karolingern, zum römischen Limes und zur Urgeschichte des Planeten? Auch die »Romantikikone« Heidelberg und das »Jugendstiljuwel« Darmstadt befinden sich in diesem deutschen Mittelgebirge. Eine von neun Wanderungen des Odenwald-Reisebuches (1. Auflage 2013) führt sogar auf einen erloschenen Vulkan … Sollte man seine Ferien im Odenwald verbringen? Stephanie Aurelia Staab weiß viele Gründe, um diese durchaus nachvollziehbare Frage unbedingt zu bejahen.


1. Die norddeutschen Inseln und großen Städte sind im Fokus der meisten Deutschlandreisenden. Außerdem haben sich Bayern und Mecklenburg-Vorpommern als populäre Reiseziele herumgesprochen. Was macht den Odenwald so besonders? Weshalb lohnt es sich als Individualreisender genau dorthin zu fahren?

Weil der Odenwald noch nicht zum touristischen Mainstream zählt, ist er gerade für Individualreisende ein gutes Ziel. Wanderer und Radfahrer können seine Natur unter der Woche gelegentlich ganz für sich allein genießen.
Liebliche Streuobstwiesen und beeindruckende Felsformationen aus Granit prägen den nordwestlichen Teil dieses deutschen Mittelgebirges, in dem Südhessen, Unterfranken und Baden-Württemberg aufeinandertreffen. Weite Teile des Odenwalds bestehen außerdem aus Buntsandstein. Typisch dafür sind tiefe Täler, die sich vor allem zum Neckar hin wie tiefe Furchen in die Anhöhen graben. Und dann gibt es noch den Muschelkalkboden im Osten, der Attraktionen wie die Eberstädter Tropfsteinhöhle hervorgebracht hat.

Eine der drei UNESCO-Welterbestätten rund um den Odenwald ist ebenfalls der Natur entsprungen: Die Grube Messel ist eine Fossilienlagerstätte von weltweiter Bedeutung. Zu den berühmtesten Fundstücken zählen das Urpferdchen und »Ida«, die älteste, komplett erhaltene Versteinerung eines Primaten.

Das Kloster Lorsch an der Bergstraße ist die zweite UNESCO-Welterbestätte. Von hier aus begann im frühen Mittelalter die Besiedelung des Odenwalds. Seine Königs- bzw. Torhalle gehört zu den wenigen Monumenten, die von den Karolingern erhalten sind. Noch weiter in die Zeit zurück führt der Limes. Der römische Grenzwall durchquert in zwei Linien die östliche Odenwaldregion (»Obergermanisch-Raetischer Limes«) – auch sie sind Teil eines UNESCO-Welterbes. Bei einer Wanderung bei Schloßau trifft man z. B. unverhofft auf Überreste eines antiken Tempels und auf römische Skulpturen – und das mitten im Wald.

Wem Wandern zu wenig Abwechslung bietet, der kann im Odenwald auch klettern, fliegen, paddeln, schwimmen oder einfach bei einem Wellness-Angebot relaxen. Die städtischen Eingangstore Darmstadt und Heidelberg runden das Reisegebiet Odenwald ab.


2. Sie leben in Darmstadt. Das hat die Recherche sicherlich erleichtert. Gab es neben diesem Heimvorteil auch einen Heimnachteil, weil es schwieriger sein kann, über Dinge zu schreiben, die man seit Jahrzehnten kennt?

Denkt man an die Entfernungen, die andere Autoren bei ihren Reisegebieten zurücklegen müssen, war die Nähe zum Odenwald ein absoluter Vorteil: Ich konnte mich einfach ins Auto setzen oder mit dem öffentlichen Nahverkehr die Ortschaften erkunden.
Vieles war dabei auch für mich neu. So habe ich zum Beispiel im Zuge meiner Recherche so kleine Schätze wie das märchenhafte Schloss in Michelstadt-Steinau oder das Hochmoor »Rotes Wasser« bei Olfen im Beerfelder Land kennengelernt. Der baden-württembergische Teil des Odenwalds war für mich bis dahin größtenteils unbekannt.

Klar, bei Darmstadt musste ich einen Schritt zurücktreten und die touristische Brille aufsetzen. Es ist die Stadt, in der ich seit Kindertagen lebe. Ich kenne ihre Schwächen und schätze zugleich ihre Vielfalt. Als einen wirklichen Heimnachteil habe ich das aber nicht empfunden. Viele neue Eindrücke und Erfahrungen sind hinzugekommen.


3. Heidelberg ist ein Global Player auf dem touristischen Parkett. Darmstadt ist wesentlich unbekannter. Was macht diese Stadt aus? Welche Entdeckungen hat man dort, die es in anderen Städten nicht gibt?

Seit der Romantik ist Heidelberg mit der prächtigen Schlossruine ein touristischer Magnet. Die Stadt hat eine bedeutende Geschichte und wurde im Zweiten Weltkrieg wie durch ein Wunder verschont. In manchen Wochen drängen sich dicht an dicht Besucher, Studenten und der Rest der Heidelberger Bevölkerung durch die Hauptstraße der Altstadt. Darmstadt backt dagegen, touristisch betrachtet, deutlich kleinere Brötchen.

Die Stadt wurde 1944 weitgehend zerstört und die ursprüngliche Bausubstanz nicht wieder aufgebaut. Dennoch hat es die ein oder andere historische Perle bis in die Gegenwart geschafft.
Dazu zählen ganz klar die prachtvollen Gebäude der Mathildenhöhe und der Künstlerkolonie. Diese Jugendstiljuwelen sind dem Großherzog Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt zu verdanken, einem Enkel der berühmten englischen Königin Viktoria. Unter seiner Regentschaft entwickelte sich Darmstadt zwischen 1901 und 1914 zu einem bedeutenden Jugendstilzentrum. In den großen Ausstellungshallen werden auch heute noch attraktive, nennenswerte Werkschauen präsentiert.

Ein Highlight der Moderne ist das ESOC. Welche Stadt in Deutschland kann schon von sich behaupten, ein Weltraumkontrollzentrum vor der Tür stehen zu haben? Bei öffentlichen Führungen kann es besichtigt werden.

Wie Heidelberg ist Darmstadt eine Studentenstadt: jung und aufgeschlossen. Das Leben spielt sich hier nicht in einem einzigen Zentrum, sondern in den Stadtvierteln ab. Der Darmstädter Kiez heißt Martinsviertel – das »Watzeverddel« –, in dem es in Cafés, Kneipen und reizvollen kleinen Geschäften, bestückt mit allerlei Kunsthandwerk, bunt und munter zugeht. Auch andere Stadtteile wie Bessungen können da mithalten. Zumal Besucher hier einige Sehenswürdigkeiten entdecken wie die Orangerie, Gässchen mit Fachwerkhäusern und den Jagdhof mit dem historischen Kavaliershaus, in dem das international angesehene Jazzinstitut untergebracht ist.

Von Bessungen aus ist es ein Katzensprung durch den Wald bis zur Ludwigshöhe. Von dieser Anhöhe kann man über Stadt, die Rheinebene bis nach Frankfurt und in den Taunus schauen. Darmstadt hat viele hübsche Flecken und ist auf jeden Fall eine Stadt, die individuell erobert werden möchte.


4. In Ihrem Buch sind neun Wandertouren enthalten. Wenn die Zeit knapp ist – welche zwei Touren würden Sie auf jeden Fall empfehlen und warum?

Bei allen Touren habe ich Attraktionen der jeweiligen Region mit eingebunden. Je länger sie dauern, umso mehr landschaftliche Abwechslung bringen sie mit sich. Zu meinen Favoriten zählen Tour 5 »Vom Reußenkreuz zum Haintal-Viadukt« und Tour 9 »Runde auf dem Katzenbuckel«.

Der Katzenbuckel ist ein erloschener Vulkan und mit 626 Metern die höchste Erhebung des Odenwalds – für leidenschaftliche Wanderer also fast ein Pflichtprogramm. Der Turm auf seinem Gipfel gibt einen atemberaubenden Blick über das Mittelgebirge frei. Außerdem führt diese Route an der romantischen Burgruine Eberbach vorbei.

Tour 5 besticht vor allem durch seine landschaftliche Schönheit. Im Haintal stehen einige Kastanien in Reihe und Glied, die zur Blütezeit ein sehr hübsches Bild ergeben. Darüber hinaus ist natürlich der Haintal-Viadukt sehenswert.


5. Noch eine nicht ganz unwichtige Frage zum Schluss: Welche lukullischen Leckerbissen verstecken sich im Odenwald? Und wo würden Sie sich eine Unterkunft suchen, wenn Sie die Gegend zum ersten Mal bereisen?

Am Kochkäse kommt im Odenwald niemand vorbei. Er wird klassisch mit Musik (eingelegte Zwiebeln) und frischem Brot gegessen oder auch gern zum Schnitzel mit Bratkartoffeln gereicht. Dazu gibt es Apfelwein, das regionale Getränk schlechthin.

Die Küche im Odenwald ist überwiegend deftig, gelegentlich auch sterneverdächtig. Viele Köche verwenden frische Produkte und nutzen die regionale Vielfalt, die von Erdbeeren und Spargel im Frühjahr bis zu Äpfeln, Pflaumen, Kürbis und Kohl im Herbst reicht. Es gibt Forellenzüchter und einen Weinbergschneckenbauer. Im Osten des Mittelgebirges ist darüber hinaus Dinkel beheimatet, der seit einiger Zeit wieder ein großes Comeback feiert. Aus ihm wird unter anderem Grünkern gemacht, der traditionell als Küchlein oder in Suppen serviert wird. An den Hängen der Bergstraße wächst und gedeiht außerdem hervorragender Wein. Ebenso abwechslungsreich wie die Landschaft präsentiert sich also auch die kulinarische Seite des Odenwalds.

Je nachdem, welche Vorlieben es gibt und wie man sich die Tage gestalten will, sollte man sich eine Region herauspicken. Mümlingtal und Madonnenländchen eignen sich für schöne Wanderungen rund um die römische Vergangenheit im Odenwald. Sucht man neben einer attraktiven Landschaft auch die Nähe zu Darmstadt und zur Bergstraße ist beispielsweise das Fischbachtal mit dem imposanten Schloss Lichtenberg und dem keltischen Ringwall »Heuneburg« eine Alternative. Von dort aus lassen sich die Nachbargemeinden und weitere Sehenswürdigkeiten wie die Burgruine Rodenstein mit Wanderungen gut erschließen.

Im Süden am Neckar kann Eberbach ein guter Standort sein. Der Katzenbuckel befindet sich in direkter Nachbarschaft und auch die Wolfs- und die Margaretenschlucht sind nicht weit entfernt. Mit dem Fahrrad, einem Kanu oder Fährschiff können die benachbarten Orte mit ihren herrlichen Schlössern und Burgruinen oder auch Heidelberg angesteuert werden.

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