Reportage

Ein Fest für die Kühe

Seit vielen Jahren sind Antje und Gunther Schwab für den Michael Müller Verlag auf fünf griechischen Inseln, im Pfälzerwald und im Elsass unterwegs. Für die 5. Auflage 2015 des Elsass-Reiseführers haben sie einen Almauftrieb mit 34 festlich geschmückten Vogesenkühen begleitet – und dabei erlebt, wie man 550 Höhenmeter in eineinhalb Stunden schafft und trotzdem noch munter das Tanzbein schwingt.


Glockengeläut im Stall: Jean Wehrey, seine Söhne Dany und Michel sowie weitere Helfer, alle mit den typischen kurzärmeligen, blaugrauen Hemden der Melker gekleidet, hängen jeder einzelnen der 34 Kühe im Stall eine schwere, auf Hochglanz polierte Festtagsglocke um den Hals. Heute ist es so weit: Es geht auf die Sommerweide hinauf, im Fall von Familie Wehrey zu den Weiden rund um ihre Ferme-Auberge du Buchwald am Petit Ballon.


550 Höhenmeter in eineinhalb Stunden

Altbauer Wehrey trifft letzte Vorbereitungen (Foto: Antje und Gunther Schwab)
Altbauer Wehrey trifft letzte Vorbereitungen (Foto: Antje und Gunther Schwab)

»Wandelfescht« nennt der Elsässer den Almauftrieb, französisch »Fête de la Transhumance«. Ein »Fest für die Kühe« sei der bessere Ausdruck, meint Altbauer Jean, der uns und all den anderen, die sich vor seinem Stall in Oberbreitenbach zum Mitwandern eingefunden haben, genaue Instruktionen gibt. Keiner darf zwischen den Kühen gehen, entweder sollen wir der Herde folgen oder vorauslaufen.
Jean weiß, wovon er spricht. Die Kühe werden durch den Lärm schnell nervös. Vor einigen Jahren, so erzählt er später, sei ihnen beim Auftrieb einmal eine Kuh durchgegangen. Einen ganzen Nachmittag hätten sie das Tier gesucht, erst am nächsten Morgen sei es glücklicherweise von selbst zur Ferme-Auberge gekommen.
Endlich wird die Tür zum Stall geöffnet. Heraus tritt Suzi, eine besonders hübsche, schwarz-weiße Vogesenkuh. Sie bleibt kurz stehen, wendet den Kopf, wirft einen Blick auf die Besucher und trottet die Straße hinunter.
Eine nach der anderen folgt, mal zögerlich, mal mit einem großen Sprung, mal schnell, mal so langsam, dass die Kuh mit einem Stockhieb angetrieben werden muss. Als die letzte den Stall verlassen hat, gehen wir hinterher. Was heißt »gehen«? Wir eilen, denn die Kühe geben ein beeindruckendes Tempo vor.
Zuerst traben sie hinab ins Dorf, dann durch die umliegenden Matten und weiter durch den Wald steil den Berg hinauf. So schnell haben wir noch nie den Petit Ballon erklommen. 7 km, 550 m Höhenunterschied, in nicht einmal eineinhalb Stunden. Und trotzdem ist von der Herde manchmal nur das Glockengeläut zu hören. So weit sind sie uns voraus.


Mit schmerzenden Füßen zum Tanz

Auf zum Wandelfescht – Vogesenkuh Suzi eröffnet den Almauftrieb (Foto: Antje und Gunther Schwab)
Auf zum Wandelfescht – Vogesenkuh Suzi eröffnet den Almauftrieb (Foto: Antje und Gunther Schwab)

Erst am Sammelpunkt, an der Ferme du Ried, treffen wir wieder auf Suzi und die Schwarz-Weißen.
Während sie grasen, erfrischen die Wanderer sich mit Gugelhupf, Wein, Brezeln und Bier. Dazu wird Musik gemacht: Zuerst erklingen die Waldhörner, dann die durchdringenden, meterlangen Alphörner und zuletzt werden die Trycheln, riesige Kuhglocken, im rhythmischen Gleichklang in einem kleinen Umzug umhergetragen.
So erfrischt und gut unterhalten fällt der letzte Teil des Aufstiegs zur Ferme-Auberge leichter. Dort sieht man Jean und seinen Söhnen die Erleichterung an. Alles ist gutgegangen. Keine Kuh hat sich verletzt. Selbst die älteren »Damen« haben den Marsch gut geschafft. Zur Sicherheit habe man einen leeren Viehwagen mit heraufgeschleppt. Er hätte im Notfall eines der Tiere aufnehmen können.
Auf der Weide werden den Kühen die Festtagsglocken wieder abgenommen – zu oft sind sie gestohlen worden. Dann wird gefeiert. Im Gastraum und auf der Terrasse tafeln wir mit vielen anderen Besuchern nach Melkerart. Es gibt Suppe, Geräuchertes mit angebratenen Kartoffeln, Käse oder Kuchen. Natürlich darf – wir sind im Elsass – auch die Schrammelmusik nicht fehlen. Obgleich die Füße vom Laufen noch schmerzen, auf dem Wandelfescht wird getanzt – es ist eben doch nicht nur ein Fest für die Kühe.


Ein zweitägiger Auftrieb und der herbstliche Abtrieb

Das Fête de la Transhumance ist auch ein elsässisches Volksfest (Foto: Antje und Gunther Schwab)
Das Fête de la Transhumance ist auch ein elsässisches Volksfest (Foto: Antje und Gunther Schwab)

Im Mai – in einem Zeitraum von drei Wochen – werden überall in den Hochvogesen die Kühe auf die Bergalmen getrieben. Nur wenige Bauern lassen dabei Besucher zu. Im Munstertal gehören neben den Besitzern der Ferme-Auberge du Buchwald auch die des benachbarten Berggasthofs Strohberg und die der Ferme-Auberge du Treh dazu.
Der Betreiber Jean-Paul Deybach zieht mit seinen Kühen und Melkern sogar zwei Tage lang von Hohrod zu seinem Bergbauernhof jenseits der Route des Crêtes. Am ersten Tag werden die mit kleinen Tannenbäumen, Schleifen, umgedrehten Melkschemeln und den Festtagsglocken geschmückten Tiere durchs Munstertal nach Mittlach getrieben, wo am Abend ein kleines Fest stattfindet.
Am nächsten Morgen klettert der ganze Trupp durch eine wunderbare Gebirgslandschaft zur Ferme-Auberge Uff Rain, von wo man nach einer üppigen Mahlzeit zum Markstein weitersteigt. In der Kapelle Notre-Dame des Nièves findet ein Gottesdienst statt. Der Priester segnet Kühe, Melker und Glocken. Nun ist es nur noch ein kurzes Stück bis zur Ferme-Auberge du Treh, wo bis in die Nacht gefeiert wird.

Mit geschmückten Kühen, Wanderstab und einigem Tempo auf den Petit Ballon (Foto: Antje und Gunther Schwab)
Mit geschmückten Kühen, Wanderstab und einigem Tempo auf den Petit Ballon (Foto: Antje und Gunther Schwab)

Bevor der Winter in den Hochvogesen einzieht, werden die Kühe wieder zurückgetrieben. Aus diesem Anlass begeht man in Muhlbach-sur-Munster an einem Oktobersamstag ein zweites »Wandelfescht«.
Etwa zehn an der Route des Crêtes gelegene Ferme-Auberges führen vom Vormittag bis zum späten Nachmittag ihre festlich geschmückten Herden durch den Ort, in etwa halbstündigem Abstand. So kann man sie sogar ganz ohne sportliches Engagement bewundern.
Erneut handelt es sich um ein Volksfest der besonderen Art: mit einem Gottesdienst am Morgen, musikalischen Einlagen, zahlreichen Verkaufsständen und vielfältigen Essensangeboten. Am Abend wird der Tag durch einen zünftigen »Melkeroawa« abgerundet, genau wie beim Almauftrieb zuvor. Elsässische Traditionen wollen schließlich mit viel Lebensfreude begangen werden.


Weitere Informationen

Informationen über die Termine der Almauf- und Abtriebe im Munstertal finden Sie auf der Homepage des Office de Tourisme von Munster unter www.vallee-munster-transhumances.fr

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