Lesezeit: 1 minReportage

Olympos, eine eigene Welt

Landflucht wohin man blickt. Selbst in einem Dorf auf Karpathos scheint diese Entwicklung längst Realität zu sein. Antje und Gunther Schwab, seit 30 Jahren unser Autorenteam zu »Karpathos« (8. Auflage 2016), sind den Spuren der Vergangenheit nachgegangen und haben einen der letzten Schuhmachermeister in Olympos besucht. Außerdem erzählen sie von den vielen Veränderungen, die sich in drei Jahrzehnten ereignet haben: Olympos, eine eigene Welt.

Porträt einer Frau in Schwarzweiß. Sie trägt eine Brille und hat lockiges, dunkles Haar. Ihr Blick ist direkt in die Kamera gerichtet. Das Foto wirkt wie ein klassisches Porträt aus vergangenen Zeiten.
Porträt eines lächelnden Mannes in Schwarzweiß. Er trägt ein Hemd und einen Blazer, sein Haar ist kurz geschnitten. Das Foto wirkt wie ein klassisches Porträt aus den 1970er Jahren. Der Hintergrund ist neutral und betont das Gesicht des Mannes.


Gleichgültig, von welcher Seite man sich Olympos, dem weit abgelegen Dorf im Norden von Karpathos, nähert: ob von seinem sieben Kilometer entfernten Hafen Diafani im Osten oder von Süden aus – der Anblick ist immer wieder überwältigend. An der meerabgewandten Seite eines etwa 200 m hohen Bergkegels kleben in- und übereinander geschachtelte weiße und pastellfarbene Häuserwürfel. Überragt werden sie vom Glockenturm der Dorfkirche. Unterhalb davon, entlang eines Baches, eine grüne Oase terrassenförmig angelegter Gärten. In dieser felsigen Einöde ein überwältigender Anblick. Nicht zu Unrecht wird Olympos von Kennern der Ägäis als eines der schönsten und bemerkenswertesten Bergdörfer ganz Griechenlands gepriesen.


Olympos damals, Olypmos heute

Panoramablick auf ein weiß getäuschtes Bergdorf, eingebettet in eine hügelige Landschaft. Die Häuser schmiegen sich an den Hang und bilden ein dichtes Mosaik aus weißen Fassaden mit bunten Akzenten. Im Vordergrund wachsen Büsche und Bäume, die das Dorf teilweise verbergen. Der Himmel ist bewölkt, was der Szene eine dramatische Atmosphäre verleiht.
Ein weit abgelegenes Dorf im Norden von Karpathos … (Foto: Antje und Gunther Schwab)

An den Bergflanken ziehen sich oberhalb und unterhalb der Häuser zahlreiche verfallene Windmühlen entlang, deren Flügel sich früher im starken Meltemi-Wind drehten. Sie zeugen von der einstigen Größe des Dorfes. Diese wird auch durch die älteren Frauen hochgehalten, denn noch immer tragen sie im Alltag eine traditionelle Tracht. Sie besteht aus einem weißen Gewand mit handbestickten Borten an Stehkragen, Saum und Bündchen, darüber wird eine schwarzgrundige blumenverzierte Schürze gebunden. Die Haare sind von ebenfalls blumenverzierten, dunklen Kopftüchern verdeckt, die Beine stecken in hohen Stiefeln, den Stivania, die früher auch die Männer getragen haben. Trotz aller Veränderungen in den letzten Jahrzehnten – Olympos ist immer noch eine eigene Welt.
Natürlich hat sich vieles geändert, seit wir vor über 30 Jahren zum ersten Mal mit unserem alten »Deux Chevaux« auf dem Parkplatz vor dem Dorf ankamen. Letzterer ist um ein Vielfaches größer geworden, die Touristen speisen heute nicht mehr in der Wohnstube bei ihren Zimmerwirten, sondern in den zahlreichen Restaurants entlang der Hauptgasse. In vielen Shops werden Souvenirs angeboten, die meisten Bewohner haben dem Dorf den Rücken gekehrt, die Schule wird nur noch von 20 Kindern besucht. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen … Selbst die alten Handwerksbetriebe sind ausgestorben.
Schon lange hat die Schmiede geschlossen. Gut erinnern können wir uns noch an den gastfreundlichen Müller Chalkias, an dessen Mühle wir saßen und beobachteten, wie eine Frau einen Sack Mehl auf dem Rücken wegschleppte, und ein Esel neues Getreide brachte. Auch der Holzlöffelmacher ist uns in bester Erinnerung; vor wenigen Jahren hat er seine Werkstatt für immer zugemacht. Ebenso wie die Weberin, von der wir immer den neuesten Dorftratsch erfahren haben …


Der Letzte seiner Art

Ein älterer Mann mit grauem Haar arbeitet konzentriert in seiner Werkstatt. Er trägt eine blaue Hemd und eine braune Schürze und bearbeitet ein Stück Schnur. Im Hintergrund sind Regale mit Lederwaren wie Taschen und Schuhen zu sehen. Die Arbeitsfläche ist übersät mit Werkzeugen, die für das Schuhmacherhandwerk typisch sind.
Der Letzte seiner Art oder Schuhmachermeister Prearis bei seiner Arbeit (Foto: Antje und Gunther Schwab)

Trotz alledem: In der Hauptgasse gibt es immer noch ein Relikt aus der alten Handwerkerzeit, eine der Schuhmacherwerkstätten, von denen es im Dorf vor 50 Jahren eine Handvoll gegeben hat. Schuhmachermeister Jannis Prearis erzählt uns von seinem Beruf. In seiner Familie habe die Schuhmacherei eine lange Tradition, Uropa, Großvater, einige Onkel, Vater, alle seien sie schon diesem Handwerk nachgegangen. Nun sei er der Letzte, der noch in Handarbeit die Stivania, diese ganz besonderen Stiefel, herstelle und repariere.
40 Arbeitsstunden sind dazu nötig, was den Preis von etwa 400 € erklärt. Das helle Ziegenleder dafür stammt von karpathiotischen Ziegen, und selbstverständlich erledigt Jannis das Gerben selbst. Unten am Bach verarbeitet er die rohen Tierhäute mit Hilfe von Asche, Kalk, Kräutern und Hühnermist in einer kleinen Werkstatt zu Leder. Später reibt er es mit Olivenöl und Schweinefett ein: damit es geschmeidig wird.

Ein Schuhmacher sitzt an einem Tisch und arbeitet an einem Paar Schuhen. Im Vordergrund sind verschiedene Lederprodukte wie Stiefel und Hausschuhe ausgestellt. Der Hintergrund zeigt einen Laden mit Teppichen und anderen Textilien. Die Szene vermittelt den Eindruck eines traditionellen Handwerksbetriebs.
40 Arbeitsstunden sind für ein Paar Stivania nötig (Foto: Antje und Gunther Schwab)

Mit den alten Werkzeugen seines Vaters stellt der Schuhmacher dann in mühsamer Handarbeit die traditionellen Stiefel her – ganz so wie die zukünftige Besitzerin es will. Denn jedes Paar ist ein Unikat, wird individuell angepasst und ganz nach Wunsch gestaltet.
Die Stiefelspitze der Schuhe setzt Jannis mit braunem, rotem oder schwarzem Leder ab und verschönert sie mit farbigen Ziernähten. Handelt es sich um Arbeitsstiefel, ist der Stiefelschaft besonders lang – schließlich müssen die Frauen im Gelände vor Dornen, spitzen Steinen oder Schlangenbissen geschützt sein. Und weil die Pfade im Norden von Karpathos oft steinig und verwurzelt sind, fertigt Jannis die Sohlen der Arbeitsstiefel aus dem dicken Gummi alter Autoreifen. Eine traditionsbewusste Olymbitin besitzt aber noch ein zweites Paar Stivania, und zwar mit einer Sohle aus Leder. Dieses Paar trägt sie an Feiertagen.


Schuhmacher, Lautospieler und Moderator in Personalunion

Drei ältere Frauen sitzen draußen in traditioneller Kleidung an einem kleinen Tisch mit einer Decke. Sie scheinen sich zu unterhalten oder etwas zu tun, während sie Tee trinken und kleine Snacks genießen. Im Hintergrund ist eine hügelige Landschaft mit Büschen und Bäumen zu sehen. Das Bild vermittelt ein Gefühl von Ruhe und Tradition.
In Olympos wird die traditionelle Tracht noch hochgehalten (Foto: Antje und Gunther Schwab)

Neben den Stiefeln stellt Jannis außerdem noch die bunt verzierten Pantoffles aus schwarzem Lackleder her, die an Feiertagen von den jungen Mädchen zu deren traditioneller Festtagstracht getragen werden. Dabei handelt es sich meist um ein grellbuntes oder weißes Kleid (heute aus Synthetik), dessen Rock aufwändig in Plisseefalten gebügelt ist.
Doch von Lederpantoffeln und Stiefeln allein, so erzählt er uns, könne er nicht leben, und deshalb fertigt Jannis zudem auch Sandalen, Gürtel, Taschen und vieles mehr aus Leder an. Diese Handwerksarbeiten werden dann im an die Werkstatt angeschlossenen Souvenirladen verkauft.
Und am Abend, wenn die Arbeit beendet ist, geht der Schuhmacher, der übrigens auch ein exzellenter Lautospieler ist, seinem ganz besonderen Hobby nach und moderiert das Internet-Radio Olympos. Auf der Frequenz 100.2 FM hält er Kontakt mit Freunden aus der ganzen Welt. Hören Sie doch mal rein!


Reisepraktisches

Man erreicht Olympos vom Inselsüden entweder mit dem Mietfahrzeug auf der mittlerweile geteerten Straße (ca. 2 Stunden) oder in der Saison von Mai bis Oktober täglich mit dem Ausflugsboot. Dieses fährt Olympos’ Hafenort Diafani an, von dort gibt es einen Bustransfer. Im Sommer kann man Olympos auch einmal wöchentlich mit dem Linienbus vom Hauptort Pigadia ansteuern.

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