Reportage

Die Anfänge einer industriellen Massenware.
Eine kleine Historie zum Reisegepäck

Das Reisen ist gut erforscht. Allein die »Reisebegleiter« führen ein akademisches Schattendasein. Was heute der industriell hergestellte und normierte Hartschalen- und Rollkoffer ist, war früher ein Sammelsurium an Gepäckstücken. Das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg zeigt bis zum 1. Mai 2011 eine aufschlussreiche Sonderausstellung zum Thema. Oder wussten Sie, dass Wilhelm II. einen Eisenbahnwaggon für seine Utensilien mietete, während Marlene Dietrich mit bescheidenen acht Schrankkoffern unterwegs war? Unser »Nürnberg / Fürth / Erlangen«-Autor Ralf Nestmeyer hat sich umgesehen.


Wer kennt ihn nicht, den erwartungsvollen Moment, wenn sich nach der Ankunft am Flughafen endlich ein dunkler Schlund öffnet und das Gepäckband in Bewegung setzt. Kurz darauf zieht ein buntes Sammelsurium von Hartschalenkoffern, Trolleys, Beauty Cases und Sporttaschen an den Reisenden vorbei. Auf manchen Gepäckstücken glitzern die Initialen des Herstellers als sichtbares Statussymbol, andere sind zerschlissen oder notdürftig mit Hanfstricken befestigt. Keine Reise ohne Gepäck – diese Maxime ist bis heute gültig, auch wenn sich die Weltmeister im Meilensammeln aus Zeitgründen auf das Handgepäck beschränken, wie George Clooney in »Up in the air« formvollendet demonstriert hat.


Von der Kutschentruhe zur Spargelspange

Statussymbol Kofferaufkleber (© GMN)
Statussymbol Kofferaufkleber (© GMN)

Umso überraschender ist es, dass es bis dato kaum wissenschaftliche Literatur zum Thema Reisegepäck gibt. Obwohl zahllose Aspekte des Tourismus inzwischen wissenschaftlich erforscht wurden, führt der Koffer noch immer ein akademisches Schattendasein. Glücklicherweise hat sich das Germanische Nationalmuseum Nürnberg jetzt in einer sehenswerten Sonderausstellung den unverzichtbaren »Reisebegleitern« gewidmet und präsentiert auf einem imaginären Paketband Gepäckstücke aus den letzten 250 Jahren. Die Breite der Palette von »Transport-Accessoires«, die fundiert in ihren sozial- und alltagsgeschichtlichen Kontext eingebunden werden, reicht von der eisernen Kutschentruhe über das mobile Schreibpult und die Reiseapotheke bis hin zur verzierten Hutschachtel.

Ursprünglich ging der Koffer aus einer Truhe hervor, die mit Tragegriffen versehen wurde, damit man sie besser transportieren konnte. Doch die Koffertruhe war schwer und umständlich zu handhaben, so dass sie schon bald den Ansprüchen der bürgerlichen Reisenden nicht mehr gerecht wurde.

Während sich die meisten Reisenden wie auch Johann Wolfgang von Goethe mit einem Kutschenkoffer begnügten, legten andere Wert auf Exklusivität. Das 200 Teile umfassende »Necessaire« des rheinischen Domherren Marquis von Hoensbroech gehört zu den Prunkstücken der Ausstellung. Penibel in hölzerne Setzkästen geordnet, umfasste Hoensbroechs Reisegepäck neben einem Kompass und einer Handleuchte auch Gewürzgefäße, silberne Schuhschnallen und eine auf Reisen unverzichtbare Spargelzange.


Die »großen Apparate« und »Elefanten« von Wilhelm II. und Marlene Dietrich

Reisegepäck einer Diva (© Ingrid Peckskamp-Lürßen)
Reisegepäck einer Diva (© Ingrid Peckskamp-Lürßen)

Bei Fußreisenden stand die Mobilität im Vordergrund. Johann Gottfrieds Seumes Seehundfell-Tornister, mit dem er im Jahre 1802 nach Syrakus wanderte, ist zwar nicht zu sehen, dafür aber der Wanderrucksack des Dichters und Naturforschers Herrmann Löns, der seine zeitgemäße Entsprechung im Tragegestellrucksack der Interrailgeneration fand.
Adelige, Fürsten und Prominente reisten meist mit »großem Apparat«, wobei Kaiser Wilhelm II. einen ganzen Eisenbahnwagen allein für sein Gepäck benötigte, in dem dann auch ein runder Korb für die kaiserlichen Dackel Platz fand. Zum unverzichtbaren Utensil wurde der Schrankkoffer, mit dem man jederzeit »reisefertig« war. Marlene Dietrich ging mit bis zu acht – von ihr liebevoll als »Elefanten« bezeichneten – Schrankkoffern auf Transatlantikfahrt. Einer mit ihren Initialen versehener Schrankkoffer ist auch in Nürnberg zu bewundern.

Zum Spezialgepäck des bürgerlichen Zeitalters gehörten Hut- und Hemdenkoffer gleichermaßen wie ein praktischer Faltkoffer oder eine vornehme Maulbügeltasche für den Herrn, während die Damenwelt modische Biedermeier-Reisetaschen liebte, deren Seitentaschen mit kunstvollen Stickereien verziert waren. In den Aufschwungjahren des Wirtschaftswunders wurde die Gesellschaft immer mobiler und der Koffer zu einer industriellen Massenware, die in der jüngsten Vergangenheit auch noch das Rollen lernte.


Eine Million Gepäckstücke gehen jährlich verloren

Der Bogen der abwechslungsreichen Ausstellung spannt sich von der Logistik der Gepäckaufbewahrung bis hin zur Gepäckversicherung; schließlich gehen allein bei Flugreisen weltweit jährlich mehr als eine Million Gepäckstücke unwiederbringlich verloren.

Auch die politische Dimension des Reisens kommt nicht zu kurz: So wird ein Hartpappekoffer, mit dem eine Schneiderin drei KDF-Fahrten der Deutschen Arbeiterfront unternahm, ebenso präsentiert, wie der Schrankkoffer, den eine Münchener Jüdin zur nicht angetretenen Flucht nach England gepackt hatte. Und der Koffer eines deutschen Kriegsgefangenen mit Pin-up-Bildern steht unweit des Bügelkoffers, mit dem Thomas Mann 1952 aus dem amerikanischen Exil in die Schweiz übersiedelte und der eigentlich seiner Schwiegermutter Hedwig Pringsheim gehörte. Stellvertretend für Migrationsströme der Gegenwart beschließt eine billige Karotasche aus dem Jahr 2010 den Ausstellungsreigen, der durch Plakate, Fotos, Kofferaufkleber, Gepäcknetze und eine Schließfächer-Installation abgerundet wird.


Weiterführende Informationen

Reisebegleiter. Koffer-Geschichten von 1750 bis heute. Sonderausstellung vom 9. Dezember 2010 bis 1. Mai 2011. Geöffnet: Di-So 10-18 Uhr, Mi bis 21 Uhr. www.gnm.de.
Ein umfangreicher farbig bebilderter Katalog (Hardcover, 228 S.) ist im Museumsshop für 25 € erhältlich.

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