Reportage

Zerlappte Küstenlandschaft und geisterhafte Ruinen.
Die Trekkinghighlights der türkischen Südägäis

Sechs Bücher zur Türkei hat das gewitzte Autorenteam Michael Bussmann und Gabi Tröger bereits verfasst. Jetzt kam mit »Türkei – Südägäis (von Dalyan bis Izmir)« (1. Auflage 2008) noch ein siebtes dazu, ein siebtes, das es vor allem wegen seiner Wanderungen in sich hat. Wanderungen, die gar nicht so einfach zu entdecken sind, wie man als unbefangener Reisender vielleicht annimmt. Der Suche nach prähistorischen Höhlen und genialen Touren rund um den Bafa-See ist die Titel-Story unseres Newsletters gewidmet.


Klassische Wanderziele stellt man sich gerne so vor: Sattgrüne Weiden, schneebedeckte Berge, rauschende Wälder und kristallklare Bäche – und dazwischen urige Bergalmen, in denen rüstige Rentnergrüppchen in nagelneuen Goretex-Klamotten bei der zünftigen Brotzeit sitzen und jeden Neuankömmling mit »Grüzi mitenand‹!« begrüßen. Oder es geht auf alten Pfaden, vorbei an üppiger Vegetation, zu immer neuen Aussichtspunkten am Rande einer atemberaubenden Steilküste über dem aufschäumenden Meer. Und natürlich sind die Wege überall bestens markiert.

Von diesen Idealvorstellungen sollte man sich gedanklich verabschieden, falls man plant, in der Region zwischen Izmir und Dalyan ein paar Wanderungen zu unternehmen. Nicht, dass es landschaftlich nichts zu bestaunen gäbe – ganz im Gegenteil! Doch erst wenige Jahre ist es her, dass die türkische Mittelmeerküste unter Trekkern überhaupt ansatzweise populär wurde. Wegbereiter dafür waren die Briten Kate Clow und Terry Richardson, die zu Anfang des neuen Jahrtausends in mühevoller Kleinarbeit und mit viel Idealismus den 509 km langen Fernwanderweg Lykian Way markierten.

Er führt von Fethiye entlang der Küste und durch das schroffe Taurusgebirge bis in die Nähe von Antalya. Danach kreierten Clow und Richardson den St Paul Trail, ebenfalls ein Fernwanderweg, der sich von Aspendos an der Türkischen Riviera über die Berge ins zentralanatolische Seengebiet windet. Schade jedoch, dass sich die beiden Briten noch nicht an die Ägäisküste vorgetastet haben! Dort gäbe es noch etliche Attraktionen mehr für ambitionierte Wanderer: uralte Saumpfade durch duftende Pinienhaine, Höhenwege mit Wahnsinnsblicken über die zerlappte Küstenlandschaft oder vergessene alte Karrenwege vorbei an geisterhaften Ruinen. Nur leider sind all diese Trekkerhighlights entweder gar nicht oder nur ansatzweise markiert und/oder von der Natur zurückerobert.


Wirtschaftliches Boykott oder
Die findigen Tricks der lokalen Routensucher

Die Region um den Bafa-See im südägäischen Hinterland beispielsweise ist an sich eines der großen Wanderhighlights in der gesamten Türkei. Vor der Kulisse des türkisgrünen Sees türmt sich das imposante Latmos-Massiv dem türkischen Himmel entgegen. Leicht begehbare Pfade führen vorbei an prähistorischen Höhlen und hin zu den geheimnisvollen Hinterlassenschaften christlicher Eremiten. Mit ein paar Punkten und Pfeilen wäre ein Verlaufen unmöglich.

»Olmaz!«, zu Deutsch »Geht nicht!«, sagen jedoch die hiesigen Wanderführer. Denn Wegmarkierungen, so glauben die lokalen Guides, würden ihr wirtschaftliches Aus bedeuten. Die Wanderführer hüten die Geheimnisse ihrer unmittelbaren Umgebung wie ihre Augäpfel und sind tunlichst darauf bedacht, dass dies auch so bleibt. Und so passiert es, dass dort, wo Pfade bereits in Ansätzen markiert worden sind, schnell neue bunte Punkte und Pfeile gesetzt werden, die jedoch in die falsche Richtung führen. Ein findiger Wirt leistete sich gar den Spaß, Schilder zu einem verfallenen »Kloster« aufzustellen, die den Wanderer aber nicht zu einem alten Eremitenkonvent lotsen, sondern zur lauschigen Terrasse des eigenen Lokals …

Anderswo, wie auf der schön-schroffen Datça-Halbinsel, haben sich ein paar Naturfreunde irgendwann einmal die Mühe gemacht, die Halbinsel zu kartographieren und mittels Routenbeschreibungen fremden Besuchern per pedes zu erschließen. Doch die Betonung liegt auf »irgendwann einmal«. Wer heute anhand der alten Beschreibungen loszieht, stellt schnell fest, dass viele Wege mittlerweile von Dornengestrüpp überwuchert oder aufgrund von Hangrutschen ganz und gar verschwunden sind. Eine mit vier Stunden veranschlagte Tour kann dann ganz schnell zum achtstündigen Survivaltrip werden.


Zirze unter Wildschweinen

Ganz so einfach war es deswegen nicht, die faszinierendsten Touren durch die Region für den neuen MMV-Titel »Türkei Südägäis« ausfindig zu machen und vorzustellen. Dafür mussten wir die Wanderführer am Bafa-See regelrecht bezirzen, bis schließlich einer die schönste Tour ins Latmos-Gebirge verriet (dank sei Emin Aydin von der Karia Pension!). Anderswo verirrten sich die Autoren im Dickicht, mussten mit blutig zerkratzten Beinen und Armen den Rückweg antreten oder wurden von wilden Pferden oder (immerhin freundlichen) Wildschweinen erschreckt. Letztendlich aber sprangen bei unserer »Über-Stock-und-Stein-Recherche« im vergangenen Sommer sechs wunderschöne Wanderungen zwischen Dalyan und Izmir heraus.

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