Reportage

Nordzyperns Großbaustelle

Ein Artikel von Ralph-Raymond Braun, Autor unseres Reisehandbuches zu Zypern (2. Auflage 2005). Der bekannte Reisejournalist schildert, wie ein gescheiterter Friedensplan ein Ferienparadies gefährdet – und fast 80 Kilometer Küste von einer Goldgräberstimmung befallen sind. Doch das Zentrum und allen voran der wunderschöne Süden des Landes bieten nach wie vor zahlreiche Highlights!


31 Jahre ist es nun her, dass türkische Truppen im Morgengrauen an einem idyllischen Strand westlich von Kyrenia landeten und gen Nikosia vorrückten. Tausende griechisch-zyprische Familien packten in aller Eile das Notdürftigste zusammen und flohen. Mit dem Waffenstillstand am 16. August 1974 hatte die türkische Armee das nördliche Drittel der Insel besetzt – und ist noch immer dort. Politisch isoliert und wirtschaftlich boykottiert, dämmerte die allein von der Türkei anerkannte »Türkische Republik Nordzypern« vor sich hin. Während andernorts rund ums Mittelmeer die Küsten erschlossen und mit Ferienanlagen zubetoniert wurden, blieb Nordzypern ein weißer Flecke auf der touristischen Landkarte.
In diesem Frühjahr, sozusagen in letzter Minute vor dem EU-Beitritt des griechischen Inselteils, sollte ein nach UN-Generalsekretär Kofi Annan benannter Friedensplan Zypern die Wiedervereinigung bringen. Der Norden stimmte zu. Doch mit dem überwältigenden »Nein« der Zyperngriechen, die den Annan-Plan in einer Volksabstimmung zu 76 % ablehnten, wurde diese Chance einmal mehr verpasst und ein Schritt zur Lösung der Probleme glanzlos beerdigt.

Ein Grund für die Ablehnung im Süden war die vorgesehene Regelung der Eigentumsfrage. Viele Zyperntürken wohnen heute auf Grundstücken, deren griechische Eigentümer 1974 vertrieben wurden. Der Annan-Plan sah vor, dass die Neubesitzer, sofern sie auf dem Grundstück selbst gebaut oder anderweitig investiert haben, dieses behalten und sogar verkaufen dürfen – den griechischen Alteigentümern muss nur eine Entschädigung gezahlt werden. – Doch diese wollen ihr Land verständlicherweise wieder zurück.

Den Norden versetzte der Annan-Plan indes in eine Goldgräberstimmung. In der Erwartung, dass man die Eigentumsfrage mit Entschädigungen lösen könne, bauten (und bauen) nun zahlreiche Zyperntürken an den schönsten Hang- und Strandlagen, was dazu führte, dass die Nordküste auf einer Länge von bald 80 Kilometern eine einzige Großbaustelle darstellt. Wenigstens 10.000 Ferienhäuser sind bereits fertig und überwiegend an Briten verkauft, die als frühere Kolonialherren schon immer gerne nach Zypern reisten. Angeheizt wird der Boom durch die hohen Immobilienpreise in Großbritannien. Wer dort sein Haus verkauft, kann sich mit dem Erlös bequem eine schicke Villa auf Zypern leisten, wo das Leben billiger und das Klima gesünder ist – für Ruheständler eine verlockende Perspektive!

Noch beschränkt sich der Baumboom auf die Umgebung Kyrenias und Famagustas. Es bleiben also Landstriche, in denen man auch in der Hochsaison kaum Fremde trifft. Da wäre zum Beispiel der Höhenzug des Pentadaktylos, der sich wie der Rückenkamm eines Drachen quer über die Insel spannt – ein herrliches und dank seiner Pinienwälder angenehm schattiges Wandergebiet. Oder die einsame Halbinsel Karpasia mit ihren wilden Eseln und Schildkrötenstränden …

Da Urlauber inzwischen bequem über den griechischen Landesteil in den Norden einreisen dürfen, ist niemand mehr auf die zeitraubenden Umsteigeverbindungen via Türkei angewiesen. Direktflüge nach Larnaka sind zu empfehlen, von wo man mit dem Mietwagen gerade nur eine gute Stunde ins türkische Zypern unterwegs ist. Doch kommen Sie bald! Denn wer weiß, ob die Baulöwen nicht auch Ihre Lieblingsbucht zubetonieren. Möglicherweise gar noch, bevor Sie dieses Kleinod überhaupt entdeckt haben.

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