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Teil 14: Wie wird man eine Heilige?
Die späte Berufung der Crescentia von Kaufbeuren.

Im römisch-katholischen Kirchenrecht genügt es nicht, einfach ein Mensch zu sein, der anderen lebensnah helfen konnte – um heiliggesprochen zu werden, braucht es ein Wunder. Dass so eine Prozedur durchaus ein wenig länger dauern kann, belegt der Fall von Maria Crescentia Höß. Den Menschen hinter der Klosterfrau, zu deren Schrein inzwischen mehr als eine Million Gläubige gepilgert sind, hat sich Ralph-Raymond Braun in seinem Allgäu-Reiseführer (1. Auflage 2014) genauer angesehen.

Porträt eines jungen Mannes in Schwarzweiß. Er blickt direkt in die Kamera mit einem ernsten Ausdruck. Er trägt ein Hemd oder eine Bluse und hat kurze, dunkle Haare. Das Bild wirkt wie ein klassisches Porträtfoto aus vergangenen Zeiten.


Im bayerischen Schwaben wird wohl kaum eine Heilige so sehr verehrt wie die Kaufbeurer Klosterfrau Maria Crescentia Höß (1682-1744). Doch warum ausgerechnet sie, wo es doch im Bistum Augsburg sicher hunderte frommer Nonnen gab, die über den Tod hinaus ihren Mitschwestern und den Menschen außerhalb der Klöster in guter Erinnerung blieben? Das Verfahren der Amtskirche zur Heiligsprechung der Crescentia beantwortet diese Frage nicht. Um eine Verstorbene heilig zu sprechen, fordert Rom den Nachweis eines Wunders. Crescentias Wunder begab sich erst lange nach ihrem Tod und war eine sogenannte Gebetserhörung. Ein Mädchen, das nach einem Badeunfall im Sommer 1986 bald eine Dreiviertelstunde unter Wasser gelegen hatte, konnte wieder reanimiert werden und wurde vollkommen gesund – zugegeben, ein Wunder, das naturwissenschaftlich nicht zu erklären ist. Doch war es, wie die Angehörigen meinen und die Kirche bestätigt, der Fürsprache Crescentias zuzuschreiben?

Porträt einer Frau in einem weißen Nonnenhabit mit großem, breitem Schleier. Vor dem Porträt befindet sich ein kleineres Gemälde derselben Person im goldenen Rahmen. Die beiden Bilder sind auf einer dunklen Wand angebracht und wirken wie eine Überlagerung. Das Bild hat einen leicht surrealen Charakter durch die Kombination der beiden Darstellungen.
Crescentia in einem Votivbild aus dem Stadtmuseum Kaufbeuren.


Eine charismatische Mystikerin und lebenskluge Frau

Von der Nonne Crescentia heißt es, sie sei eine charismatische Mystikerin gewesen und gleichzeitig eine gescheite, lebenskluge Frau, einfühlsam und mit gesundem Menschenverstand. Sie spendete einfachen Leuten, die an die Klosterpforte klopften, ebenso Rat und Trost wie den Größen ihrer Zeit, etwa dem Erzbischof Clemens August, Prinz von Bayern und Kurfürst von Köln oder seiner Schwägerin Maria Amalia von Österreich, Gemahlin des bayrischen Kurfürsten und späteren Kaisers Karl Albrecht, mit denen sie in regem Briefwechsel stand.

Ein Detail einer weißen Fassade mit einem alten Gemälde im Rahmen, das vermutlich eine Nonne darstellt. Darunter befinden sich zwei Fenster mit dunklen Sprossen. Links neben dem Bild ist eine alte Laterne an einem schmiedeeisernen Pfosten angebracht. Das Gebäude wirkt historisch und möglicherweise religiös geprägt.
Das Porträt der Heiligen an der Kosterfassade.

Noch in Crescentias Todesjahr 1744 begab sich eine Kommission im Auftrag des Papstes nach Kaufbeuren. Man wollte der religiösen Euphorie um die fromme Frau auf den Grund zu gehen. Die Klosterchronik berichtet, dass in machen Jahren bis zu 70.000 Menschen zum Schrein der Crescentia pilgerten. 1775 wurde das Verfahren zur Seligsprechung (eine Vorstufe der Heiligkeit) eröffnet. Und schleppte sich bis 1900 dahin, denn heraufziehende Aufklärung, dann Säkularisation und Kulturkampf waren keine guten Zeiten für die Anerkennung von Wundern. Offiziell heiliggesprochen wurde Maria Crescentia Höß anno 2001 durch Johannes Paul II.


Die jeweiligen Hintergründe und jede Menge reisepraktische Tipps finden Sie im Reiseführer »Allgäu« von Ralph-Raymond Braun.