Abseits der Routen

Teil 21: Nordseeküste - Schleswig-Holstein
oder Pellworm, die grüne Unbekannte

Pellworm ist die sechstgrößte Insel Deutschlands – und weitgehend unbekannt. Zu Unrecht, findet Dieter Katz, der einen wissensklugen und unterhaltsamen Nordseeküsten-Reiseführer für uns geschrieben hat. Das nordfriesische Eiland gilt als Vorreiter der Energiewende, ist herrlich entschleunigt und hat sogar einige Strandkörbe an seinen grasgrünen Stränden aufgestellt. Doch auch für einen Tagesauflug mit dem Fahrrad lohnt sich Pellworm, das man auf einer 28 Kilometer langen Deichtour mit sehr schönem Wattenmeerblick umrunden kann.  


Hier, mitten im Wattenmeer, steht die Landwirtschaft noch an erster Stelle. Zumindest in der Nebensaison, danach erst folgt der Tourismus. Das liegt zunächst einmal an den fruchtbaren Marschböden, den sich die Insulaner nach den fortwährenden Zerstörungen des Blanken Hans durch mühsames, jahrhundertelanges Eindeichen wieder zurückgeholt haben.
Pellworm befindet sich heute mehr als einen Meter unter Normalnull (N.N.). Ohne den 8 Meter hohen Deich und ohne das ständige Abpumpen des Regenwassers würden die ergiebigen Wiesen und Felder gnadenlos volllaufen. Wegen dieser Gegebenheiten hat die grüne Insel – ähnlich wie die gegenüberliegende Festlandküste – keinen Sandstrand. Kein Sandstrand: kaum Touristen, so ist das eben.

Die Insel der grünen Energie

Pellworms bekanntes Wahrzeichen ist die Alte Inselkirche mit ihrer Turmruine (Foto: Dieter Katz)
Pellworms bekanntes Wahrzeichen ist die Alte Inselkirche mit ihrer Turmruine (Foto: Dieter Katz)

Dabei hat Pellworm einige Grünstände zu bieten. Damit sind gepflegte, grasbewachsene und flache Außendeiche gemeint, die sogar mit ein paar Strandkörben bestückt sind. Doch Baden ist wegen der brandungsarmen Wattenmeerlage nur bei Flut möglich. Das jedoch ist nicht jedermanns Geschmack.
Wer aber eine klare und salzhaltige Luft atmen, die erstaunlich weitläufige Insel mit dem Fahrrad erkunden oder einfach nur einen (grün-)strandfaulen Urlaub abseits des Schickimicki-Trubels verbringen möchte, hat mit Pellworm das ideale Eiland gefunden! Die Insel ist ein Ruhepol für alle, die vollkommen auf Entschleunigung und Entspannung setzten. Um seine persönlichen Energiereserven wieder aufzuladen, lohnt es sich, gleich mehrere Tage zu bleiben.
Apropos Energie tanken: Pellworm ist grün in doppeltem Sinne. Die kleine Insel gilt als Vorreiter für die Nutzung erneuerbarer Energien. Schon 1983 wurde hier Deutschlands erste Fotovoltaikgroßanlage errichtet. Später kombinierte man sie dank eines Hybridkraftwerks mit einer Windenergieanlage. Selbst eine Biogasanlage existiert hier.

Ungewohnter Anblick. Ein Strandkorb im Grünen (Foto: Dieter Katz)
Ungewohner Anblick. Ein Strandkorb im Grünen (Foto: Dieter Katz)

Von 2015 bis Anfang 2018 lief außerdem das Projekt SmartRegion. Im Mittelpunkt stand die ehrgeizige Idee, eine Region vollständig durch erneuerbare Energien zu versorgen. Zwar gelang es, gut 97 % des auf Pellworm verbrauchten Stroms tatsächlich vor Ort zu erzeugen. Trotzdem wurde das millionenschwere Projekt eingestellt. Für die Abdeckung der restlichen 3 % (rechnerisch gerade mal 43 Minuten pro Tag) hätte man die Energiespeicher doppelt so groß machen müssen. Das wäre nicht bezahlbar gewesen. Deshalb speist Pellworm seinen aus erneuerbarer Energien gewonnenen Strom nun auf herkömmliche Weise ins öffentliche Netz ein.

Ein Tagesausflug nach Pellworm

Die Anlegestelle für Krabbenkutter in Tammensiel (Foto: Dieter Katz)
Die Anlegestelle für Krabbenkutter in Tammensiel (Foto: Dieter Katz)

Ein Tag genügt allerdings auch schon, um die 7 Kilometer lange und 6 Kilometer breite Insel ins Herz zu schließen. Bereits die Überfahrt ist ein Erlebnis. Los geht es am Fährhafen der (Halb-)Insel Nordstrand mit seinem wenig geläufigen Namen Strucklahnungshörn. Von hier aus startet mehrmals täglich die kleine Autofähre MS »Pellworm I« der NPDG, der Neuen Pellwormer Dampfschiffahrts-GmbH.
Die kleine Fähre ist die Lebensader der Insel und deren Reederei die letzte weitgehend unabhängige der Region. Noch immer sind die etwa 100 Anteilseigner zum größten Teil Pellwormer Einwohner. Die Anweisung für die 40-minütige Überfahrt ist klar: »Eine Hand fürs Schiff – eine Hand für DICH!« So steht’s zumindest auf dem gut gemeinten Hinweisschild an Bord. Kaum 40 Minuten später macht die MS »Pellworm I« (eine Nummer II gibt es nicht) am weit ins Wattenmeer hinausreichenden Tiefwasseranleger in der Einöde fest.
Von dort bringt Sie ein kostenloser Busshuttle zum knapp 2 Kilometer entfernten Hauptort Tammensiel mit seinem charakteristischen alten Hafengebäude. »Hauptort« ist natürlich relativ. In Tammensiel und dem südlich des Hafens angrenzenden Ortsteil Ostersiel leben nur etwa 200 von Pellworms insgesamt 1.300 Einwohnern. Diese jedoch sind gegenüber den rund 3.000 Deichschafen und 2.000 Rindern ohnehin deutlich in der Minderheit – was den Charakter der Insel schon hinlänglich beschreibt … Im kleinen Hafen von Tammensiel liegen immerhin noch ein paar Krabbenkutter, im alten Hafenschuppen befindet sich ein kleines Schifffahrtsmuseum (Eintritt frei!). Ansonsten geht es hier ausgesprochen ruhig zu.
Was liegt also näher, als sich vor Ort ein Fahrrad zu leihen, um die Insel zu erkunden? Und für wen das nichts ist: Elektro-Smarts sind auch noch im Angebot; ihr eigenes Auto ist hier völlig überflüssig und sollte unbedingt auf dem Festland bleiben!

Inselumrundung mit Wattenmeerblick und Wahrzeichen

In diesem Galerieholländer von 1777 kann man übernachten (Foto: Dieter Katz)
In diesem Galerieholländer von 1777 kann man übernachten (Foto: Dieter Katz)

Radler können nahezu die gesamte Insel auf einem geteerten Weg an der Außenseite des rund 28 Kilometer langen Deichs umrunden – und dabei einen wunderbaren Wattenmeerblick genießen (Fahrtzeit: 2 Stunden 15 Minuten). Badestellen auf dem Weg laden zur Rast ein. Und fast alle Sehenswürdigkeiten liegen auf dieser Route.
Wer gegen den Uhrzeiger fährt, erreicht schnell Pellworms Vogelkoje. So nennt man die rekonstruierte Entenfanganlage, die heute eher ein von Büschen und Bäumen umgebener Ententeich ist und entgegen ihrem ursprünglichen Zweck jetzt der Erholung und dem Vogelschutz dient. Weil hier im Sommer 2020 ein Seeadlerpaar brütet, müssen Sie derzeit davon Abstand halten. Weiter geht es in den Inselnorden zur Nordermühle, Pellworms historischem Galerieholländer von 1777. Hinter der alten Fassade verbergen sich inzwischen Ferienwohnungen.

Seezeichen der Extraklasse mit atemberaubendem Rundumblick (Foto: Dieter Katz)
Seezeichen der Extraklasse mit atemberaubendem Rundumblick (Foto: Dieter Katz)

Der historische Höhepunkt aller Sehenswürdigkeiten ist im Inselwesten zu finden. Dort steht Pellworms berühmtes Wahrzeichen: die Alte Kirche St. Salvator (12. Jahrhundert) mit ihrem mächtigen Turm. Dieser ragt als »Finger Gottes« neben dem Außendeich rund 26 Meter in die Höhe und war früher eine wichtige Landmarke für die Schifffahrt. Ursprünglich sogar 56 Meter hoch, stürzte er 1611 zur Hälfte ein und erinnert nun als Ruine an die Zeit, als Pellworm noch Teil der riesigen, in den Sturmfluten untergegangenen Insel Strand war. Das von innen unverputzte Gotteshaus strahlt eine wunderbare Wärme aus und beherbergt neben einem kostbaren Flügelaltar (von 1460) eine weiteren Schatz: Eine in weiten Teilen noch Original erhaltene Orgel des berühmten Orgelbauers Arp Schnitger (von 1711). Sie gilt als Glanzstück des barocken Orgelbaus und hat einen so beeindruckenden Klang, dass Organisten von weit her anreisen, um einmal auf ihr zu spielen.
Das zweite Wahrzeichen am Deich liegt im Inselsüden: der Leuchtturm. Auf Pellworm steht ein besonders schönes und hohes Exemplar, dass man – nach Voranmeldung bei der Tourist-Info – sehr gut besteigen kann. Zuletzt sind es nur noch ein paar Kilometer zurück nach Tammensiel, wo einen der Shuttle-Bus problemlos wieder zurück zum Außenanleger bringt. Falls Sie vorher noch etwas Zeit haben: zur Stärkung gibt’s in Tammensiel nicht nur ein paar gemütliche Kneipen, sondern am Hafenimbiss auch ein leckeres Fischbrötchen auf die Faust.


Reisepraktische Infos

Fähre: Ab Nordstrand (Strucklahnungshörn) 8.40 Uhr oder 10.40 Uhr, Rückfahrt 17.35 Uhr. Rückfahrkarte 13,50 €, Kinder (6-14 J.) 6,75 €, Fahrrad 5,50 €; www.faehre-pellworm.de. Ab Bahnhof Husum fährt auch ein Linienbus direkt bis zum Fährhafen.
Fahrradverleih auf Pellworm: Momme von Holdt, Uthlandestraße 4 (südlich des Hafens/Ostersiel), Tel. 04844-348 und 0175/5211247 oder André Andersen (auch Elektro-Smart), Rungholtweg 2 (nördlich des Hafens/Tammensiel), Tel. 04844-992385.

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