Abseits der Routen

Teil 26: Venedig
oder Die Quarantäneinsel der Markusrepublik

Die riesigen Kreuzfahrtschiffe hat Venedig aus der Stadt verbannt. Es dürfte zukünftig etwas ruhiger werden in der Serenissima. Wer es noch ruhiger mag, sollte einen Ausflug in die Lagune nach Lazzaretto Nuovo unternehmen. Sabine Becht und Sven Talaron, die Autoren der 1. Auflage von Venedig MM-City, haben für unsere Abseits-der-Routen-Serie die alte Quarantäneinsel der Markusrepublik erkundet.

Es ist doch ein etwas längerer Weg hier hinaus mit dem Vaporetto zu den nördlichen Laguneninseln. Gut 25 Minuten sind es von den Fondamente Nove mit der Linea 13 in einem der kleineren, meist auch nicht ganz so vollen Wasserbusse Venedigs. Diverse kleine Inseln ziehen an uns vorbei, das flache Wasser der Lagune und die unzugänglichen Salzwiesen sind ein ideales Brutgebiet für zahlreiche Wasservögel – ungestörte Ruhe, nur durch die schmale Fahrrinne rauscht der Verkehr.

Die Bedarfshaltestelle

An Bord haben wir rechtzeitig Bescheid gegeben, dass die einsame Insel gegenüber von Sant’Erasmo auch wirklich angefahren wird; das unbewohnte Eiland ist nurmehr eine Bedarfshaltestelle. Zusammen mit einer Handvoll anderen stehen wir nun am Steg und sehen unserem Vaporetto nach. Hinter uns liegen ein lang gestrecktes Gebäude mit geschlossenem Holztor und ein Fußpfad ins Nirgendwo, das war’s. Ein wenig macht sich schon Ratlosigkeit breit, bis sich die Tür öffnet und eine junge Frau heraustritt – unsere »guida«, mit der wir die nächsten zwei Stunden auf der Insel unterwegs sind. Gehegt und gepflegt wird Lazzaretto Nuovo von zwei gemeinnützigen Organisationen, die sich sowohl der Ökologie als auch dessen kulturellen Erbe verschrieben haben.

Ein Weinberg, eine Quarantänestation und der Schwarze Tod

Besonders in den Seefahrerstädten gefürchtet, der Schwarze Tod (Foto: Sabine Becht und Sven Talaron)
Besonders in den Seefahrerstädten gefürchtet, der Schwarze Tod (Foto: Sabine Becht und Sven Talaron)

Bis Mitte des 15. Jahrhunderts hieß die Insel, deren älteste Besiedlungsspuren bis in die Bronzezeit zurückreichen, Vigna Murada und wurde von den Benediktinermönchen des Klosters San Giorgio Maggiore als Weinberg bestellt. 1468 verlegte der Senat der Republik Venedig ihre neue, größere Quarantänestation hierher – und die Insel wurde zur Isola del Lazzaretto Nuovo.Die Jahre zuvor hausten die Ankömmlinge auf einem winzigen Eiland namens Lazzaretto weiter südlich direkt vor dem Lido, das bald viel zu klein war für all die Seeleute, die auf den Handelsschiffen aus dem östlichen Mittelmeer in die Serenissima kamen. Aus dem ursprünglichen Lazzaretto wurde nunmehr das Lazzaretto Vecchio: eine elende Sterbestation für (Pest-)Kranke, die man auf keinen Fall in die Stadt lassen wollte. Denn kaum etwas war in Venedig so gefürchtet wie la peste, der »Schwarze Tod«, der 1348 schon einmal gewütet und mehrere 10.000 Venezianer dahingerafft hatte (weitere verheerende Pestepidemien folgten 1576 und 1630).

40 bange Tage lang

Auf Lazzaretto Nuovo wurden alle ankommenden Handelsreisenden für 40 Tage unter Quarantäne (quaranta = italienisch für 40) gestellt, ihre Ware wurde »purificiert«, also nach den Vorstellungen ihrer Zeit desinfiziert: mit Salzwasser und kochendem Wasser, Essig, Asche, Kräutern und Gewürzen. Bis zu 10.000 Menschen gleichzeitig waren in der vollständig von einer Mauer umgebenen Anlage untergebracht, und nur, wer die 40 Tage symptomfrei überstanden hatte, durfte die Isolation in Richtung Stadt verlassen. Dazwischen vertrieb man sich die lange Wartezeit, auf der Insel gab es sogar ein Bordell.Wer Symptome zeigte, wurde allerdings umstandslos nach Lazzaretto Vecchio verfrachtet, und auch Fluchtversuche aus der Quarantäne endeten meist tödlich, nämlich am Galgen und für alle gut sichtbar.

Schattenspendende Bäume und Salzwiesen

Die Salzwiesen der Quarantäne-Insel vor Venedig (Foto: Sabine Becht und Sven Talaron)
Die Salzwiesen der Quarantäne-Insel vor Venedig (Foto: Sabine Becht und Sven Talaron)

Das alles ist im Rahmen einer sehenswerten kleinen Ausstellung im Tezon Grande, dem über 100 Meter langen Gebäude innerhalb der ummauerten Anlage, dokumentiert; auch ein Film wird gezeigt.Zuvor führt die Guida die interessierten Gäste über das heute so beschaulich wirkende, herrlich grüne Areal unter schattenspendenden Bäumen zu den antiken Überresten auf der Insel und zum historischen Pozzo, dem Brunnen für die Süßwasserversorgung. Und schließlich bietet sich zum Abschluss noch der Rundgang auf eingangs erwähntem Fußpfad namens Sentiero delle Barene (Salzwiesen) an, dem naturkundlichen Weg rund um die Insel inmitten herrlicher Natur.Danach aber sollte man auf keinen Fall das Vaporetto zurück in die Stadt verpassen und sich aus der Isolation heraus zu Ombra & Cicheti begeben, dem Gläschen Wein samt kleiner venezianischer Köstlichkeiten!

Reisepraktische Infos

Besichtigungen mit Führung finden von Juni bis Oktober an Samstagen und Sonntagen um 16 Uhr statt, in englischer Sprache samstags (außer August) um 11 Uhr. Mit dem Vaporetto der Linea 13 ab Fondamente Nove um 15.25 Uhr bzw. um 10.25 Uhr, das Ende der Besichtigung ist an den Vaporetto-Rückfahrplan angepasst. Eintritt und Führung 10 €. Anmeldung obligatorisch unter www.lazzarettiveneziani.it. Mückenspray und Trinkwasser nicht vergessen!

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