Top Ten

Teil 36: Valdarno, Casentino, Florenz
Eine andere Toskana

Der Toskana-Reiseführer vom Chef höchstpersönlich ist einer der „ewigen“ Bestseller im Michael Müller Verlag. Nun kam ein ganz neues Buch zum „goldenen Dreieck der Toskana“ heraus: zu Valdarno, Casentino und Florenz. Recherchiert und geschrieben hat es Barbara de Mars, die seit über zwanzig Jahren in Italien lebt und arbeitet. Ihr Ansatz hat uns sofort überzeugt – er passt perfekt zu unseren Reiseführern: „Wir entgehen den Massen und widmen uns den Nebenstraßen, den Hintergründen und dem Warum.“ Darum geht es auch in ihrer Top Ten zur anderen Toskana.

Autorin Barbara De Mars
 Wenn Sie Fragen zu Unterkünften haben, können Sie sich an die Autorin direkt wenden. (Foto: Ingo Förtsch)

Das „goldene Dreieck der Toskana“, wie das Valdarno aufgrund seiner günstigen Lage auch genannt wird, liegt strategisch günstig. Von hier erreicht man in weniger als 1 Stunde die großen toskanischen Kunststädte Florenz, Siena und Arezzo.
Oder ist Ihnen eine mittelalterliche, verwunschene Welt mit „ewigen“ Wäldern, christlicher Mystik und verzauberten Ruinen lieber? Dann sind Sie im Casentino richtig. Die zwei Täler Casentino und Valdarno umarmen den knapp 1.600 Meter hohen Pratomagno-Berg. Man kann diese noch wenig beschriebene Ecke der Toskana auch zu Fuß in zwölf Begehungen erschließen: mit einfachen Spaziergängen samt Einkehrschlenker in Weingütern bis hin zu tagesfüllenden Wandertouren.
In Florenz weichen wir ebenfalls den Touristenströmen aus und entdecken alte Erzählungen neu.

1. Pratomagno – der mystische Berg in der Mitte

Heilige wie Romuald und Franziskus bestiegen ihn, Mönche bewirtschafteten seine Wälder, die das Holz für den Bau der Palazzi in Florenz lieferten. Eine knappe Autostunde von der toskanischen Hauptstadt entfernt, wartet der 1.592 Meter hohe Berg wie eine Insel darauf, entdeckt zu werden. Früher machten die italienischen Könige an seinen Hängen in Saltino Urlaub, und britische Literaten besangen ihn, zum Beispiel John Milton im „Verlorenen Paradies“.
Goethe hatte auf seiner „Italienischen Reise“ bekanntlich anderes vor und ließ den Berg links liegen, fand aber dennoch lobende Worte für das Valdarno: „Reiner kann man kein Feld sehen, nirgends auch nur eine Erdscholle, alles klar wie gesiebt. Der Weizen gedeiht hier recht schön, und er scheint hier alle seiner Natur gemäßen Bedingungen zu finden“, notierte er am 25. Oktober 1786.
Heute entdecken Ausflügler zu Fuß oder mit dem Mountainbike das Paradies samt seinen malerischen Bergdörfern neu.

Pratomagno Gipfelkreuz
Abgespalten vom Apennin steht er ganz für sich, der beinahe 1.600 Meter hohe Berg Pratomagno. Übersetzt heißt der Name "die große Wiese". (Foto: BdM)

2. Wildwest in der Toskana: die Balze

Das Valdarno zwischen Arezzo und Florenz war vor Jahrmillionen ein See. Als die Wasser wichen, blieben Sedimente aus Fels, Sand und Steinen zurück, die im ganzen Tal bis zu 100 Meter hoch aufragen und von den Einheimischen nur Balze (Erhebungen) genannt werden. Auch Leonardo da Vinci war begeistert. Es heißt, er habe sich von ihnen für den Hintergrund der „Mona Lisa“ und der „Felsgrotten-Madonna“ inspirieren lassen. Im „Codex Leicester“ schreibt er: „… zu Füßen des Pratomagno sieht man sie, wo die Flüsse sie nicht ausgewaschen und abgezehrt haben; und in diesem Terrain sieht man die tiefen Spuren der Flüsse, die dort verliefen und vom großen Berg Pratomagno herunterstürzten.“ Es lohnt sich, in diesen Flussspuren zu wandern und die panoramaträchtigsten Orte zu finden (im Reiseführer verrate ich, wo sie sind)!
Für Kinder bieten die Balze eine zusätzliche Attraktion, denn hier werden immer wieder Fossilien von Riesenelefanten, Zebras oder Säbelzahntigern gefunden. Also gut umschauen! Zuletzt wurden 2015 gut erhaltene Teile eines Riesenelefanten entdeckt. Heute kann man die Fundstücke im Paläontologischen Museum von Montevarchi besichtigen.

Balze
Canyons ziehen sich über die gesamte Länge des Arno-Tals und schillern je nach Lichteinfall und Tageszeit in immer neuen Farben. (Foto: BdM)

3. Panoramastraße Setteponti

Eigentlich sollte die alte Pilgerstraße nicht „7 Brücken“, sondern besser „70 Kurven“ heißen. Auf cirka 500 Höhenmetern schlängelt sie sich von Cascia bei Reggello den Pratomagno entlang bis vor die Tore von Arezzo. Die Aussicht hinunter ins Arno-Tal bis zu den Hügeln des Chianti ist grandios. Beliebt ist die Kurvenreiche auch bei Bikern und Straßenradfahrern (Adresse zur E-Bike-Miete im Buch).
Empfehlenswert sind zwanglose Unterbrechungen nach Lust, Laune und eigenen Interessen. Kulturliebhaber können sich am Erstlingswerk des Malers Masaccio im gleichnamigen Museum in Cascia erfreuen – oder an den vielen romanischen Pfarrkirchen. Die vielleicht schönste findet sich in Gropina bei Loro Ciuffenna. Letzteres ist ein besonderes Kleinod unter den malerischen Dörfern am Wegrand und einer der „Schönsten Weiler Italiens“.
Apropos, immer wieder begegnet man auch Fattorie und Weingütern, in denen man lokalen Chianti-Wein verkosten kann – das Arno-Tal ist eines von vier schon 1716 durch Cosimo III. so bezeichneten, verbrieften Anbauregionen. Passen Sie lediglich auf, dass es nach der Verkostung nicht 700 Kurven werden!

Setteponti Ponte Buriano
Die Brücke von Ponte Buriano kurz vor Arezzo auf der Sette-ponti-Straße soll Leonardo da Vinci im Hintergrund der „Mona Lisa“  abgebildet haben. (Foto: BdM)

4. Casentino: Ein Sprung ins Mittelalter

Als die Florentiner am 11. Juni 1289 die kaisertreuen ghibellinischen Truppen in der Ebene von Campaldino bei Poppi im Casentino-Tal besiegten, besiegelten sie damit zugleich das Schicksal dieses wunderschönen Tals. Es wurde von der Entwicklung abgehängt und schlummert bis heute in einer Naturoase von fast 40.000 Hektar Wald vor sich hin. Zu entdecken gibt es zum Teil gut erhaltene Feudalburgen wie die der Grafen Guidi von Poppi. Auch charmante Burgruinen kann man ansteuern. Eine davon befindet sich in Romena, Dante Alighieri besang sie in seiner „Göttlichen Komödie“.
Die nahe beieinander liegenden Städtchen des Tals wie Pratovecchio und Stia sind besonders schön und halten gleichzeitig viele Überraschungen bereit, nicht zuletzt kulinarischer Art. Das „Tortello alla lastra“ (Teigtasche auf der Platte zubereitet) ist sehr empfehlenswert! Auch die Aktivitäten sind ideal zum Entschleunigen: Wandern, Mountainbike-Fahren, Eselreiten, Baden im Fluss Arno …
Im Sommer gibt es regelmäßige Veranstaltungen wie das übers Tal verstreute „Pianofestival“ mit stimmungsvollen Konzerten im Freien vor prächtigen Kulissen.

Casentino Campaldino mit Burg Poppi
In der Ebene von Campaldino vor der Burg von Poppi im Casentino-Tal entschied sich 1289 das Schicksal von Florenz. (Foto: BdM)

5. Trattorie, Trippa und Stufato

Essen in der Toskana ist einfach gut. Will heißen: in erster Linie mit einfachen und lokalen Zutaten, aber trotzdem mit Gusto zubereitet. Markenzeichen der hiesigen Küche sind Brotsuppen wie die Minestra di Pane oder Pappa al Pomodoro und Eintöpfe (Ribollita). Nichts wird weggeworfen, sondern alles verarbeitet! Kutteln (trippa) sollte man genauso probiert haben wie das berühmte Florentiner Steak (bistecca fiorentina).
Dass das toskanische Brot ungesalzen ist, wird mit verschiedenen Legenden erklärt: entweder, weil die Beilagen wie Schinken, Salami und Käse sowieso würzig sind oder aber, um den Pisanern eins auszuwischen, weil letztere eine Salzsteuer einführen wollten. So haben selbst die Speisen stets eine Geschichte. Und natürlich entsteht wie immer in der Toskana auch ums Essen ein Wettbewerb. In San Giovanni Valdarno findet zur Karnevalszeit einer um das beste Stufato statt, ein scharf gewürztes Gulasch, für das jede Familie ihr ganz spezielles Rezept eifersüchtig hütet und an die nächste Generation weitergibt.
Jedes Tal und jeder Ort hat seine kulinarischen Eigenheiten. Neben dem Olivenöl, das hier auf der Zunge bitzelt (weil die Oliven möglichst früh geerntet werden, wenn sie noch ganz grün sind), werden auch die lokalen Weine des Valdarno – wie Il Borro, Petrolo oder Caberlot – zunehmend bekannter.

Valdarno Bottega Chiassaia
Einfache und gute Hausmannskost findet man in den kleinen Läden und Lokalen auf dem Pratomagno, wie hier in Chiassaia. (Foto: BdM)

6. Wanderungen für jeden Geschmack

Zwölf Wanderungen, mal kurz und einfach, mal ausgedehnt und anspruchsvoller, führen vom Tal über eine hügelige Landschaft bis auf den Gipfel des Pratomagno-Berges. Sind Sie ein Fan von atemberaubenden Panoramen? Oder lieber archäologischen Grabungen auf der Spur? Ist Ihnen der Einkehrschwung auf einem Weingut wichtig? Oder die innere Einkehr im tiefen Wald? Suchen Sie Abenteuer und Spaß für die ganze Familie? Oder möchten Sie lieber in Stille die Landschaft kontemplieren?
Zwischen Casentino und Valdarno gibt es für jeden Geschmack die passende Wanderung. Einige Touren sind auch gut mit dem Mountainbike machbar. Sie können sich von erfahrenen und zertifizierten Wanderführern leiten lassen – und wenn Sie keinen Wert auf Gespräche legen, dann lassen Sie sich einfach von Martas Esel führen …

Wanderung Pratomagno Wiese vor Kloster Vallombrosa
Nach einer Wanderung auf dem Grat des Pratomagno verführt die riesige Wiese vor dem Benediktiner-Kloster Vallombrosa zum Picknick. Ein Kinderspielplatz ist nebenan. (Foto: BdM)

7. Mode & Handwerk

Seit dem Mittelalter ist Florenz bekannt für die Verarbeitung von Tuch und den Handel mit edlen Stoffen. Die Familie der Medici hatte sogar für eine gewisse Zeit das europäische Monopol auf Alaun inne, ein Salz, das man zur Behandlung von Tuchen und Leder benötigte. Mode war also seit Jahrhunderten ein Thema, und etliche Modehäuser wie Gucci, Pucci und Roberto Cavalli wurden in Florenz geboren.
Auch das Umland der toskanischen Hauptstadt ist trotz Globalisierung bis heute in der Modebranche aktiv. Das weltweite Hauptquartier von Prada befindet sich ebenfalls im Valdarno. Und wussten Sie, dass das Outlet The Mall in Leccio bei Reggello mit 3 Millionen Touristen jährlich mehr Besucher aufweist als die Uffizien?
Doch auch das Casentino-Tal bietet ungeahnte Schätze in Sachen Mode, wie den groben und sehr farbenfrohen „Casentiner Loden“ (meist ein knalliges Orange), den bereits Audrey Hepburn in „Frühstück bei Tiffany“ trug. Er ist heute nach einer wirtschaftlichen Flaute durch Gucci wieder en vogue. Daneben sind in den Tälern noch andere Handwerke präsent – von der Schmiedekunst im Casentino bis zur Verarbeitung der knolligen Wurzel der Irisblume zur Parfüm- und Cremeherstellung. Obgleich die Düfte der Schwertlilie nur noch selten für die Parfümherstellung benötigt werden, erblühen ab Ostern bis Mai im Valdarno eine wunderschöne Farbpalette an Iris-Feldern.

Giaggioli (Irisblumen) wurden zur Parfümherstellung gepflanzt
Die Zwiebel der Irisblume wurde früher für die Parfümherstellung benötigt. Heute erblühen im April wunderschöne Felder zur Freude von Touristenaugen. Foto: BdM)

8. Kultur & Festivals

Im Valdarno ist Musik drin. Vor allem im Sommer kann man fast jeden Abend ein – oft kostenloses – Konzert auf den Piazze oder in romanischen Kirchen und privaten Villen erleben. Nicht selten gibt es dazu Verkostungen lokaler Produkte und Weine.
Dass die Qualität hervorragend sein kann, stellt seit fast 30 Jahren das „Streichquartett-Festival“ von Gropina unter Beweis. Weltklassemusiker spielen an vier Terminen im Juli und August in der romanischen Pfarrkirche bei Loro Ciuffenna und schenken stimmungsvolle Stunden. Und auch die leichtere Muse küsst im Tal: das Festival „Valdarno Jazz“ ist überregional bekannt.
Der Casentino steht ebenfalls für besondere Sommerkonzerte. Die an verschiedenen Orten verteilten Auftritte bei „Naturalmente Pianoforte“ bilden einen ebenso harmonischen wie genussvollen Einklang von Natur und Musik.
Zwei Gemälde sollte man außerdem ansehen: das erste Werk des Malers Masaccio im Museo d’Arte Sacra in Cascia bei Reggello zeigt den allerersten Versuch dessen, was später als „Florentiner Zentralperspektive“ in ganz Europa Furore machen wird. Der Künstler ebnete der „modernen“ Malerei mit plastischen und natürlichen Figuren voller Emotionen den Weg. Ein interessantes Kontrastprogramm findet sich nur wenige Kilometer entfernt im Museo della Basilica von San Giovanni Valdarno. Der Mönch Beato Angelico, der heute als Schutzpatron der Kreativen verehrt wird, lebte zeitgleich mit Masaccio und hinterließ eine bezaubernde, phantasievolle und zarte „Verkündigung“.  

Kultur wie Pianofestival »Naturalmente Pianoforte«
Besonders stimmungsvoll und interaktiv ist das „Piano Festival“ im Casentino-Tal. Es gibt nicht nur Konzerte bekannter Musiker, sondern auch die Gelegenheit, selbst aktiv zu werden. (Foto: BdM)

9. Spiritualität in Vallombrosa, Camaldoli und La Verna

Otto der Große war der Erste. Auf dem Weg zu seiner Kaiserkrönung nach Rom um 960, so erzählt die Legende, befahl er zwei deutschen Mönchen, auf dem Pratomagno eine Abtei zu errichten. S. Trinita in Alpe wurde in den folgenden Jahrhunderten zu einem mächtigen Bezugspunkt für die Gegend.
Um die Jahrtausendwende gründete der Hl. Romuald ihr gegenüber auf dem Bergzug des Apennin das Benediktinerkloster Camaldoli – und der Hl. Walbert nur wenige Jahre später das Kloster Vallombrosa auf der Florenz zugewandten Bergseite des Pratomagno. Auch der Hl. Franziskus stand nicht zurück und errichtete das Kloster La Verna unweit von Camaldoli an dem Ort, wo er 1224 die Wundmale empfangen haben soll. Dergestalt „umzingelt“, verlor S. Trinita an Einfluss und wurde schließlich Vallombrosa unterstellt.
Bis heute wohnen Mönche in Camaldoli, Vallombrosa und La Verna. Es sind Orte inmitten einer bezaubernd machtvollen Natur, ideale Kraftorte für alle, die entschleunigen möchten. Zu den Resten der geheimnisvollen Abtei S. Trinita in Alpe führt eine unserer Wanderungen.

Spiritualität hier in der Einsiedeli von Camaldoli
Die Einsiedelei der Benediktiner von Camaldoli im Casentino. Weiter unten am Berg leben die Leute in klösterlicher Gemeinschaft. (Foto: BdM)

10. Florenz einmal anders

Das „Bermudadreieck“ von Florenz liegt zwischen Dom, Palazzo Vecchio und Ponte Vecchio. Hier drängeln sich tagein, tagaus die Touristen, um die „Highlights“ der Stadt wie die Kopie des „David“ von Michelangelo vor dem Palazzo Vecchio zu begaffen.
Wir dagegen entgehen den Massen und widmen uns den Nebenstraßen, den Hintergründen und dem Warum. Mehrere Spaziergängen handeln von Fragen zu Macht und Kunst, dabei lernen wir die Orte der Medici-Familie kennen! Außerdem geht es um einen der einflussreichsten Köpfe der Renaissance, Filippo Brunelleschi. Er hat nicht nur die Kuppel des Doms errichtet und mit dem Findelhaus Spedale degli Innocenti das erste Gebäude der Renaissance: Der gelernte Goldschmied gab auch der damaligen Malerei wichtige Impulse. Mit Experimenten trug er entscheidend dazu bei, dass sich in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts die Florentiner Zentralperspektive durchsetzte. Dafür widmete Baumeister, Kunsttheoretiker und Allroundgenie Leon Battista Alberti sein Werk „De Pictura“ („Über die Malkunst“) ebenjenem Brunelleschi.

Spaziergänge durch Florenz
Die steile Treppe hinauf zum Piazzale Michelangelo und San Miniato al Monte hatte schon Dante Alighieri in seiner „Göttlichen Komödie“ als „alt“ beschrieben. Nachdem sie kürzlich zum UNESCO-Welterbe ernannt wurde, restauriert man sie zurzeit. (Foto: BdM)

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