Reportage

Die Stadt des Mannes, den sie Che nannten

Einige Journalisten und Leser bezeichneten die Reiseführer zu Kreta und Ecuador bereits als »Bibeln«. »Cuba« (3. Auflage 2014) ist auf dem besten Weg dazu, diesen Sonderstatus ebenfalls zu erlangen. Wolfgang Ziegler hat mit knapp 800 Seiten das ausführlichste Reisehandbuch über den sozialistischen Karibikstaat geschrieben. Für unseren Newsletter hat sich der Leiter des Reiseressorts der Mittelbayerischen Zeitung einen Wallfahrtsort für Revolutionsromantiker ganz genau angesehen: Santa Clara, wo der Nimbus von Che Guevara seinen Anfang nahm.


Die Plaza de la Revolución von Santa Clara, so groß wie ein paar Fußballfelder und bei offiziellen Anlässen Treffpunkt für Zehntausende, ist menschenleer zu dieser frühen Stunde. Noch ist keiner der Reisebusse vorgefahren, die Tag für Tag Heerscharen von Touristen an diesen Wallfahrtsort der cubanischen Revolution bringen. Noch ist kein Klicken von Fotoapparaten zu hören, das in ein paar Stunden zu einem regelrechten Maschinengewehr-Stakkato anschwellen wird. Noch kann die letzte Ruhestätte von Ernesto Guevara de la Serna, dem wohl berühmtesten Guerillero der Welt, ihrem Namen gerecht werden. José Antonio Pérez ist trotzdem schon da, um das zu schützen, was so kurz nach Tagesanbruch noch gar keinen Schutz benötigt.


Der Leibwächter von Ches Leichnam

Der »Leibwächter« des Mannes, den sie Che nannten, steht lässig am Fuß des Denkmals für den Comandante. Sein Sturmgewehr, eine veraltete Kalaschnikow AK-47, hat er an den Sockel des Denkmals für den »größten Sohn« von Santa Clara gelehnt. Momentan gilt seine ganze Aufmerksamkeit dem Einwegfeuerzeug, mit dem er sich eine »Popular« anzünden will, eine jener filterlosen cubanischen Zigaretten, die an jedem anderen Ort der Welt in die Kategorie »Lungen-Torpedo« fallen würde.

Tief saugt er den würzigen Rauch ein, ehe er zu reden beginnt: »Weißt Du«, sagt er, »es gibt bestimmt angenehmere Aufgaben als hier stundenlang in der Sonne zu stehen. Aber an der Seite von Che auf Posten sein zu dürfen, ist eine Ehre. – Eine besondere Ehre«, ergänzt er nach einer kurzen Kunstpause. Schließlich habe der Comandante am 29. Dezember 1958 dem tyrannischen Batista-Regime nicht nur die Stadt Santa Clara entrissen, sondern damit der Revolution auch den Weg zum endgültigen Sieg zwei Tage später geebnet.


Die Legenden vom Nimbus der Unbesiegbarkeit und die Wahrheit über des Guerilleros Tod

Hasta la vista, äh, victoria (Foto: Wolfgang Ziegler)
Hasta la vista, äh, victoria (Foto: Wolfgang Ziegler)

José Antonio, Ende 20 und eigentlich nur ein kleines Licht in den Spezialtruppen der Policía Nacional Revolucionaria de Cuba, der Revolutionären National-Polizei also, hat in der Schule alles über die Revolution gelernt – auch die Legenden. Mit seiner gerade einmal 150 Mann starken 8. Kolonne, die über nicht mehr als sechs Maschinen- und 50 Sturmgewehre verfügte, habe sich Che Guevara gegen die Übermacht der Batista-Armee gestellt und sie vernichtend geschlagen. Zuerst hätten die Rebellen das Elektrizitätswerk eingenommen, dann den Rundfunksender besetzt und schließlich den »Tren blindado«, einen gepanzerten Zug, in dem mehr als 400 Soldaten saßen, mit Molotow-Cocktails angegriffen und gekapert, erzählt er ausschweifend und voller Begeisterung, als wäre er selbst dabei gewesen.

Obwohl die Schlacht um Santa Clara tatsächlich schnell entschieden war, nimmt sie in den cubanischen Geschichtsbüchern breiten Raum ein – natürlich auch deshalb, weil sich darauf der Nimbus der Unbesiegbarkeit Che Guevaras gründet, der spätestens mit jenem Triumph zum Paradebeispiel eines Guerilleros wurde. Dass auch der cubanische Vorzeige-Revolutionär nicht unverwundbar war, erfuhr die Welt Jahre später. Bei einer von ihm angezettelten Rebellion in Bolivien wurde er während eines Gefechts in der Nähe von La Higuera gefangen genommen und am 9. Oktober 1967 von einem Feldwebel der bolivianischen Armee standrechtlich erschossen. Seine Leiche verscharrte man heimlich am Rande der Startbahn des Flugplatzes von Vallegrande – nachdem man ihr noch die Hände abgehackt hatte, um durch die Fingerabdrücke einen zweifelsfreien Nachweis seiner Identität zu besitzen.

Entdeckt wurden Ches Gebeine erst 30 Jahre später, nachdem ein ehemaliger Offizier der Regierungstruppen den Begräbnisort preisgegeben hatte. Die sterblichen Überreste und jene einiger seiner Begleiter wurden daraufhin exhumiert, nach Cuba überführt und mit einem Staatsbegräbnis in dem eigens geschaffenen Mausoleum in Santa Clara beigesetzt. Schon 1987 hatte die Bevölkerung der zentralcubanischen Stadt damit begonnen, ihrem Helden in zusammengerechnet 450.000 Stunden freiwilliger Arbeit auf der Plaza de la Revolución ein Denkmal zu setzen und ein Museum zu errichten. Beides war am 28. Dezember 1988 mit einem feierlichen Akt eingeweiht worden, auf den Tag genau 30 Jahre nach dem Beginn der Schlacht um Santa Clara. Jetzt wurde es kurzerhand um ein Mausoleum erweitert.


»Wir wollen alle so sein wie Che!«

Santa Clara heute (Foto: Wolfgang Ziegler)
Santa Clara heute (Foto: Wolfgang Ziegler)

Genau dort schiebt José Antonio Wache – »un día si, un día no«, wie er sagt, also jeden zweiten Tag. Seine Hauptaufgabe bestehe darin, darauf zu achten, dass sich die Touristen »respektvoll verhalten«, schließlich sei die Plaza de la Revolución, die man in Santa Clara gerne auch als Plaza del Che bezeichnet, ein ganz besonderer Ort. »In Fatima oder Lourdes spricht man gewiss auch mit gedämpfter Stimme und rennt nicht barfuß in die Kirchen«, sagt er und stellt – bewusst oder unbewusst – religiöse Bezüge her. Ernesto Che Guevara ein Heiliger? »Für uns Cubaner ist er schon ein Santo. Der Comandante hat zweimal für fremde Länder sein Leben riskiert und es für ein drittes gelassen (Cuba, Kongo, Bolivien, Anm. d. Red.). Er war ein Heiliger.« Bei diesem Satz deuten sowohl José Antonios Mimik als auch seine Stimmlage an, dass er keinen Widerspruch zulassen wird. Beim nächsten ebenso: »Genau deshalb wollen wir alle so sein wie Che!«

Davon, dass Guevara 1965 nach Konflikten mit den Castro-Brüdern von der politischen Bühne Cubas abgetreten war und von heute auf morgen alle Ämter aufgegeben hatte, sagt sein heutiger Leibwächter nichts. Auch in dem Museum weist nichts auf die politischen Meinungsverschiedenheiten zwischen dem »Herz der Revolution« (Che Guevara), dem »Hirn der Revolution« (Fidel Castro) und der »Faust der Revolution« (Raúl Castro) hin. Vielmehr wird dort anhand von alten Fotos und Dokumenten sein Lebensweg nachgezeichnet – von seiner Kindheit und seinem Medizinstudium über seinen Werdegang als Revolutionär bis hin zu seinen letzten Notizen in Bolivien, die er zum Teil auf deutschem Tagebuchpapier machte. Am 7. Oktober 1967, einem Sonnabend – zwei Tage vor seinem Tod.


El Che, ein Santo?

Der lange Abschiedsbrief an Fidel Castro (Foto: Wolfgang Ziegler)
Der lange Abschiedsbrief an Fidel Castro (Foto: Wolfgang Ziegler)

Im handschriftlichen Original ist auch sein fünfeinhalb DIN-A-4-Seiten langer Abschiedsbrief an Fidel Castro zu sehen, der draußen vor der Tür in Stein gemeißelt steht. »Mein einziger Fehler von Bedeutung war, dass ich Dir von den ersten Augenblicken in der Sierra Maestra an nicht noch mehr vertraut und Deine Qualitäten als Führer und Revolutionär nicht klar genug erkannt habe«, heißt es darin unter anderem. Balsam in den Ohren des Máximo Líder – Balsam, das alle Wunden heilt.

Daneben steht er beziehungsweise seine Bronze-Statue – 6,80 Meter hoch, 20 Tonnen schwer, auf einem sechs Meter hohen Marmor-Sockel ruhend: El Che – der Che. Um seine Einzigartigkeit zu unterstreichen, hat man in Cuba ein »El« vor seinen Spitznamen gesetzt, der in Lateinamerika und speziell in seiner eigentlichen Heimat Argentinien so viel bedeutet wie »Kumpel«. In Kampfuniform und mit seinem M2-Sturmgewehr in der Hand blickt er nach Süden in Richtung des Hügels San Juan in der Sierra del Escambray. Der Stadt, die ihn zu ihrem Sohn machte, kehrt Che dabei zwar den Rücken. Sein Name wird aber für immer mit ihr verbunden sein. Oder wie es José Antonio mit etwas anderen Worten formulierte: »Santa Clara ist Santo Che!«


Reisepraktische Infos:

Anreise-Tipp: Seit November 2013 fliegt die Condor immer montags von München direkt nach Santa Clara, ab 299 Euro (oneway). Außerdem verbindet der deutsche Ferienflieger die bayerische Landeshauptstadt immer dienstags nonstop mit Varadero. Von Frankfurt aus fliegt die Condor ebenfalls Varadero (immer montags, donnerstags und samstags), Holguín (immer mittwochs und sonntags) sowie die cubanische Hauptstadt Havanna (immer montags, mittwochs und freitags) an. Weitere Informationen im Internet auf www.condor.com.

Restaurant-Tipp: Das beste Restaurant von Santa Clara (und weit darüber hinaus) betreibt Ángel Rodríguez. Sein »Florida Center« ist in einem alten, perfekt restaurierten Kolonialgebäude untergebracht, das 2008 als erstes Privathaus überhaupt mit dem Preis der Provinz für die Restauration und Konservation historischer Bausubstanz ausgezeichnet wurde. Spezialität des Hauses sind Fischfilet bzw. Garnelen oder Langusten in Tomatensauce. Eine Reservierung ist unbedingt notwendig! Calle Maestra Nicolasa Nr. 56, Tel. 208161.

Hotel-Tipp: Eine der schönsten Herbergen der Stadt ist das Hostal La Casona Jover. Das zentral gelegene Haus aus dem Jahr 1867 lässt die Gäste eintauchen in die Kolonialzeit, selbst der Fußboden ist noch im Original erhalten. Calle Colón Nr. 167, Tel. 204458. Weitere Informationen im Internet auf www.visitcuba.de.

Tour-Tipp: Die Koralleninseln Cayo Las Brujas, Cayo Enseñachos und Cayo Santa María liegen ca. 90 Kilometer nordöstlich von Santa Clara an der Atlantikküste und gehören zu den schönsten Badezielen Cubas. Allein der feine, weiße Sandstrand von Cayo Santa María erstreckt sich über elf Kilometer.

Info-Tipp: Cubanisches Fremdenverkehrsamt, Tel. 030/44719658, Internet: www.cubainfo.de.

Passend dazu