Top Ten

Teil 19: Kopenhagen
oder Der Charme einer dänischen Metropole

Die Top-Ten-Reihe unseres Newsletters ist beliebt – und neben Stadt- und Landschaftserkundungen geht es um neue Trends, Kulinarik und Kunstgenuss sowie architektonische Leckerbissen. Diesmal stellt Christian Gehl seine Lieblingsplätze vor, darunter ein Museum mit Meerblick, ein, ähm, Latrinenquartier und eine bemerkenswert kleine Ikone.


Kopenhagen – Christian Gehls Top Ten

Nørrebro oder Die Heimat nach Hause holen

Nørrebro – ein gelungenes Beispiel für moderne Stadtplanung (Foto: Christian Gehl)
Nørrebro – ein gelungenes Beispiel für moderne Stadtplanung (Foto: Christian Gehl)

Kopenhagen ist extrem gut darin, Stadtviertel durch einladende Straßenmöbel und originelle, menschenfreundliche Verbindungswege zu neuem Leben zu erwecken. Dieser Kunstgriff gelingt sogar bei vernachlässigten Stadtgebieten.
Ein Beispiel ist das multikulturelle Nørrebro. Hier, nordwestlich der Kopenhagener Seen, haben Architektenteams alle Bewohner dazu aufgerufen, öffentliche Gegenstände aus ihrer einstigen Heimat vorzuschlagen, über die dann in einem zweiten Schritt abgestimmt wurde. 57 Objekte hat man schließlich herangeschafft oder 1:1 nachgebaut, darunter ein Klettergerüst aus Delhi, einen schwarzen Rutschbahn-Oktopus aus Tokio, einen Thai-Boxring aus Bangkok, rote Bänke aus Havanna und Schaukeln aus Bagdad.
Verbunden werden diese »Heimaterinnerungen« durch ein kräftiges Signalrot des Bodenbelags. So entstand ein wirklich gelungenes Beispiel für moderne Stadtplanung, Hut ab! In der Nørrebrogade 208 (Bus 5a vom Nørreport, Ausstieg Nørrebrohallen) kann man einen Spaziergang durch dieses Viertel mit seinen überaus pfiffigen Ideen starten.


Louisiana Museum of Modern Art oder Eine einzigartige Mischung aus Natur- und Kunsterfahrung

Louisiana, das grandiose Kunstmuseum mit Meerblick (Foto: Christian Gehl)
Louisiana, das grandiose Kunstmuseum mit Meerblick (Foto: Christian Gehl)

Berühmte Museen gibt es viele – das Prado in Madrid, das Centre Pompidou in Paris, das Tate Modern in London –, aber das Louisiana nördlich von Kopenhagen dürfte einzigartig in seiner Mischung aus Natur- und Kunsterfahrung sein. Innerhalb eines herrlichen Meeresparks einer mondänen Villa aus dem 19. Jahrhundert beherbergt das Louisiana eine stattliche Sammlung moderner Kunst: mit einigen »Big Names« wie Alberto Giacometti, Francis Bacon oder Anselm Kiefer. Zudem hat es sich das Haus zur Tradition gemacht, wechselnde Ausstellungen von weniger bekannten, oft provokativen zeitgenössischen Künstlern zu organisieren.
Die einzelnen Räume sind durch unterirdische Gänge miteinander verbunden, außen hält einen ein wunderbarer Landschaftspark mit Skulpturen von Henry Moore, Alexander Calder und Jean Arp davon ab, zu lange drinnen zu bleiben … Und der Blick aus dem Museumscafé auf die Øresund-Meerenge mit einigen Calder-Mobiles vor sich ist dann vollends unbezahlbar.
Humlebæk, Gl. Strandvej 13 (zu erreichen mit dem Regionalzug nach Helsingør, Einstieg am Hauptbahnhof in Kopenhagen, Ausstieg in Humlebæk). Di-Fr 11-22 Uhr, Sa/So 11-18 Uhr. www.louisiana.dk.


Christianshavn oder Der Kanal, der den Wohlstand schuf

Mutprobe gefällig oder Die Kirche am Christianshavns Kanal, auf der man aus 90 Metern die Stadt beschaut (Foto: Christian Gehl)
Mutprobe gefällig oder Die Kirche am Christianshavns Kanal, auf der man aus 90 Metern die Stadt beschaut (Foto: Christian Gehl)

Die Ursprünge von Christianshavn gehen auf den Renaissance-König Christian IV. zurück, der in diesem Stadtviertel den nötigen Platz für die dringend erforderlichen Matrosen und Kaufleute seiner immer größer werdenden Metropole schuf. Über den Christianshavns-Kanal gelangten sie schnell auf die Schiffe.
Heute ist Christianshavn nach jahrhundertelanger Vernachlässigung wieder ein prosperierendes Viertel – zumindest in unmittelbarer Umgebung des Kanals. Die Gegend steht selbst Amsterdam in nichts nach: mit einer romantischen Mischung aus kleinen bunten, windschiefen Häusern, deren Holzbalken sie kaum noch zusammen zu halten scheinen, und einer Reihe stattlicher Bürgervillen, die im farbenfrohen Stil ihrer Nachbarn gehalten sind.
Kopfsteinpflaster ist das Tüpfelchen auf dem i für einen inspirierenden, erheiternden, nicht allzu langen Spaziergang immer nah am Wasser. Und wenn Sie schon mal da sind und Lust auf eine Mutprobe haben: Die 150 Stufen, die außen am Turm der Vor Frelsers Krike verlaufen, haben es in sich; man balanciert in 90 Metern Höhe über der Stadt …
U-Bahn Christianshavn.


Nyhavn oder Ein sehr gut besuchter Touristenmagnet

Der Nyhavn oder Eine Top-Sehenswürdigkeit, bei der es meist sehr voll ist (Foto: Christian Gehl)
Der Nyhavn oder Eine Top-Sehenswürdigkeit, bei der es meist sehr voll ist (Foto: Christian Gehl)

Klar, mehr als eine etwa 250 Meter lange Häuserzeile mit einigen Restaurants und Kneipen im Souterrain ist der Nyhavn eigentlich nicht – sieht man vom Kanal voller Segelschiffe und einiger Ausflugsboote davor ab … Dass es dort dennoch immer so voll ist, ist zunächst kaum nachvollziehbar.
Überwindet man sich und begibt sich mitten in den Touristenrummel, weiß man wiederum sofort, wieso: Der Ansturm an Farben und Formen ist so unwiderstehlich, dass das Letzte, wovon man jetzt etwas wissen will, die Vernunft ist.
Nichts desto trotz bleibt der Besuch dieser Top-Sehenswürdigkeit eine zwiespältige Erfahrung – es ist nervtötend voll; zumindest an strahlend-sonnigen Tagen … Was also tun? Ich suche mir für den Besuch des Nyhavn einen etwas weniger schönen Tag aus und erlebe den Kanal fast allein. Sicher, jetzt finden sich Wolken auf meinen Bildern. Doch alles Glück hat man ja nie.
U-Bahn Kongens Nytorv.


Latinerkvarter oder Das Quartier für den maximal mittelgroßen Geldbeutel

Längst kein Latinenquartier mehr, was man unschwer an einigen Autos sehen kann … (Foto: Christian Gehl)
Längst kein Latinenquartier mehr, was man unschwer an einigen Autos sehen kann … (Foto: Christian Gehl)

Ein altes Viertel, früher ziemlich verrufen und deswegen »Pisserenden« genannt – was tatsächlich das bedeutet, was Sie denken … –, heute aber eine der coolsten Ecken von Kopenhagen. Mit früher meine ich: vor etwa 100 Jahren. Damals boten sich hier Prostituierte an, und betrunkene Männer erleichterten sich im Rinnstein.
Das Publikum hat sich längst völlig verändert und besteht heute vornehmlich aus Studenten und schon etwas gesetzteren Bohemiens. Was sie hierher zieht? Die schmalen Straßen mit ihren bunten Häuschen bieten eine sehr abwechslungsreiche Erfahrung aus kleinen Boutiquen und trendigen Restaurants, geeignet für einen maximal mittelgroßen Geldbeutel. Hier herrscht immer viel Bewegung, und die Leute sind entspannt: meine uneingeschränkte Empfehlung.
Rund um die Larsbjørnstræde. 7 bis 8 Minuten entfernt von der U-Bahn Nørreport.


Torvehallerne oder Kulinarische Genüsse unter Glas-Stahl-Konstruktionen

Die Torvehallerne mit ihren bis zu 60 Food-Ständen unter luftigen Glas-Stahl-Konstruktionen (Foto: Christian Gehl)
Die Torvehallerne mit ihren bis zu 60 Food-Ständen unter luftigen Glas-Stahl-Konstruktionen (Foto: Christian Gehl)

Markthallen sind in den meisten Städten eine Attraktion, da ist Kopenhagen keine Ausnahme. Aber es ist schon wirklich außergewöhnlich, was das Rathaus hier zusammen mit privaten Investoren auf die Beine gestellt hat.
In zwei luftigen Glas-Stahl-Konstruktionen verteilen sich an die 60 Stände, die von Sushi und feinster Pizza bis zu französischen Delikatessen über Tapas und regionalen Spezialitäten so ziemlich alles anbieten, was der Gaumen sich erträumt. Im Sommer kann man draußen sitzen und sich für unterwegs noch von den zahlreichen Obst- und Gemüseständen versorgen. Die Kopenhagener haben die Markthallen vom ersten Tag an (eröffnet wurden sie im September 2011) in ihr Herz geschlossen.
Nørreport, Frederiksborggade 21. U-Bahn Nørreport. Mo-Do 10-9 Uhr, Fr bis 20 Uhr, Sa bis 18 Uhr, So 11-17 Uhr. www.torvehallernekbh.dk.


Kronprinsensgade oder Kopenhagener(innen) sind gut gekleidet

Ein exquisiter Teeladen ist nur die eine Seite der von dänischen Designern dominierten Kronprinsensgade (Foto: Christian Gehl)
Ein exquisiter Teeladen ist nur die eine Seite der von dänischen Designern dominierten Kronprinsensgade (Foto: Christian Gehl)

Eine sehr schöne Gelegenheit für einen ausgedehnten Boutiquenbummel bieten die schmalen, autofreien Straßen rund um die Kronprinsensgade in der Altstadt. Der Ehrlichkeit halber sei gesagt: Es sind keine günstigen Modeanbieter, die hier ihre (traditionsreichen) Läden haben, aber das eine oder andere einigermaßen erschwingliche T-Shirt lässt sich für den Sommer sicher erstehen …
Was die Schaufenster dafür massig bieten: Inspiration in Sachen Farben und Schnitte. Relativ günstig ist die junge skandinavische Mode bei Norse Projects (Pilestræde 39), zumal in dieser Gegend fast ausschließlich Designer aus Dänemark angesiedelt sind, Stig P (Kronprinsensgade 14) etwa oder Day Birger et Mikkelsen (Pilestræde 16) und Bruuns Bazaar (Kronprinsensgade 8). Die vielen einheimischen Label tragen wahrscheinlich nicht zuletzt durch ihre starke Präsenz in lokalen Zeitungen und hippen Modemagazinen zur Lust der Menschen an Mode bei. Denn eins fällt auf: Kopenhagener(innen) sind sehr gut gekleidet.
U-Bahn Kongens Nytorv.


Kødbyen oder Coole Galerien mit zeitgenössischer Kunst und der Nacht danach

Nein, nein, keine Schleichwerbung – Nachtleben in Kopenhagen (Foto: Christian Gehl)
Nein, nein, keine Schleichwerbung – Nachtleben in Kopenhagen (Foto: Christian Gehl)

Kopenhagen verändert sich an allen Ecken und Enden. Was früher ein dröges Schlachthofgelände war, wohin sich kaum jemand verirrte, der dort nicht beruflich zu tun hatte, ist heute eine der angesagtesten (Kunst-)Quartiere der Stadt. Die Mischung aus traditionellen Metzgereien, Loft-artigen Restaurants, engen Clubs und coolen Galerien mit zeitgenössischer Kunst zieht ein junges und junggebliebenes Publikum bis in die Morgenstunden an.
Lust auf eine lange Nacht? Hier sind Sie richtig! Wie überall auf der Welt, gilt das vor allem für das Wochenende.
Vesterbro, Halmtorvet. 10 Minuten vom Hauptbahnhof.


Die kleine Meerjungfrau oder Ikonen bleiben eben Ikonen

Eine kleine, aber liebreizende Ikone – die vielleicht bekannteste Figur aus Christian Andersens Märchen (Foto: Christian Gehl)
Eine kleine, aber liebreizende Ikone – die vielleicht bekannteste Figur aus Christian Andersens Märchen (Foto: Christian Gehl)

Skulpturen sind oft gigantisch, man denke nur an Michelangelos David. Edvard Eriksen, der Anfang des 20. Jahrhunderts in den höchsten Kreisen seines Heimatlandes bekannt war, entschied sich, die Hauptfigur von Andersens Märchen bewusst klein zu gestalten – jedenfalls im Vergleich zu den überdimensionalen Skulpturen, wie sie auch in der Glyptothek und im Thorvaldsen-Museum der Stadt zu sehen sind …
1,65 Meter misst die »kleine« Meerjungfrau draußen am Inneren Kanal bei Frederiksstaden, und sie ist genauso anrührend, wie man sie sich als Leser der Geschichte vorstellt. Im Sommer ist sie das Ziel von riesigen Touristenbussen, und da schließt sich der Bogen zu Michelangelos Statuen. Ikonen bleiben eben Ikonen, wie auch immer sie von Kunsthistorikern beurteilt werden.
20 Minuten von der S-Bahn-Station Østerport.


Kolvebod Bølge oder Der Steg zur Sonne

Der geschwungene Kai, der weit auf den Kanal hinausführt, ist eine Konstruktion des Architekten Julien de Smedt (Foto: Christian Gehl)
Der geschwungene Kai, der weit auf den Kanal hinausführt, ist eine Konstruktion des Architekten Julien de Smedt (Foto: Christian Gehl)

Das sonnenverwöhnte Hafenbad, das man via die Metrostation Islands Brygge erreicht, ist seit seiner Eröffnung ein großer Publikumserfolg. Vis-à-vis, auf der anderen Kanalseite, liegen die Büros dagegen den ganzen Tag im Schatten. Kein Mensch verlor sich an diesen Kaikanten, außer ihn zwangen berufliche Gründe dazu …
Seit einigen Jahren ist das völlig anders. Wie das? Ein geschwungener Steg ragt weit ins Wasser hinaus, dorthin, wo sich die Sonne ausbreitet. In mehreren Ebenen – mit Wasserrutschen, Sitzgelegenheiten und hohen Bodenwellen für Skater versehen – führt der neue Kai weit auf den Kanal hinaus und schließlich wieder zurück. Eine geniale Konstruktion des Architekten Julien de Smedt, die im Sommer den Druck vom Hafenbad nimmt und unternehmungslustigen Jugendlichen ein neues Betätigungsfeld eröffnet.

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