Reportage

Kurz vor dem Überschlagen zu Stein erstarrt.
Die Provence ehrt ihren Jahrhundertmaler Paul Cézanne mit zahlreichen Ausstellungen

Ein Artikel von Ralf Nestmeyer, der Autor unseres 2006 überarbeiteten Reiseführers »Provence und Côte d'Azur« (5. Auflage).


2006 ist nicht nur das Mozart- und Sigmund-Freud-Jahr, sondern auch das Jahr von Paul Cézanne. Am 23. Oktober jährt sich der Todestag des französischen Impressionisten zum 100. Mal. Ihm zu Ehren hat seine Heimatstadt Aix-en-Provence verschiedene Veranstaltungen unter dem Motto »Un hommage exceptionnel à l’enfant du pays« vorbereitet. Ralf Nestmeyer, der Autor unseres Reiseführers »Provence und Côte d’Azur« (5. Auflage), hat sich in Aix-en-Provence umgesehen.

Anlässlich des 100. Todestages von Paul Cézanne (1839-1906) dreht sich in Aix-en-Provence alles um den berühmten Maler, der den Großteil seines Lebens hier verbracht hat und dem nicht nur wegen seiner zahlreichen Bilder von der Montagne Sainte-Victoire ein Ehrenplatz in der Kunstgeschichte gebührt.
Als Sohn eines wohlhabenden Bankiers erblickte Paul Cézanne 1839 in der Rue de l’Opera, mitten im Zentrum von Aix, das Licht der Welt. Bereits in jungen Jahren konnte er in seiner Geburtsstadt erste Erfahrungen mit der Kunst sammeln. Doch zunächst studierte er, dem Wunsch seines Vaters entsprechend, an der juristischen Fakultät von Aix. Erst auf die steten Ermutigungen seines Schulfreundes Emile Zola hin, entschloss sich Cézanne, sein Leben ausschließlich der Malerei zu widmen. Er ging nach Paris und kam dort in Kontakt mit den Impressionisten. Das Publikum und die Kritiker schätzten seine Malerei zum damaligen Zeitpunkt allerdings gering.


Entwicklung eines unverwechselbaren Stils und eine lebenslange Obsession

Die drohende Wehrpflicht im deutsch-französischen Krieg bot Cézanne einen willkommenen Anlass, 1870 nach Südfrankreich zurückzukehren. Zuerst malte er in L’Estaque, einem kleinen Ort in der Bucht von Marseille, später, nachdem sein Vater gestorben war, ließ er sich wieder in Aix-en-Provence nieder. Unter dem Einfluss von Camille Pissarro gelang es ihm, einen eigenen, unverwechselbaren Stil zu entwickeln. Seine letzten Lebensjahre war Cézanne von einer einzigen Obsession getrieben, und die galt der Montagne Sainte-Victoire, einem knapp über 1000 Meter aufragenden Kalksteinmassiv, das wie eine gigantische Welle kurz vor dem Überschlagen zu Stein erstarrt scheint.
Jeden Tag zog er aufs Neue los, um sein Lieblingsmotiv mit all seinen Farbnuancen auf die Leinwand zu bannen. Die wichtigste Voraussetzung war für Cézanne eine exakte Naturbeobachtung: »Um eine Landschaft zu malen, muß ich zuerst die geologische Schichtung kennen.« Insgesamt malte er mehr als 30 Ölbilder sowie 45 Aquarelle dieses Berges – stets bemüht, »Konstruktionen und Harmonien parallel zur Natur« zu finden. Als Cézanne am 23. Oktober 1906 starb, nahmen zwar nur die wenigsten seiner Mitbürger am Tod dieses unfreundlichen Sonderlings Anteil, doch hatte sein Stern gerade unwiderruflich begonnen, am Kunsthimmel aufzugehen.


Einzigartige Ausstellung mit 120 Werken und ein Atelier als Stilleben

Ein Großteil dieser Bilder wird nun vom 9. Juni bis 17. September 2006 in der Ausstellung »Cézanne en Provence« im Musée Granet präsentiert. Das Museum öffnet nach mehrjährigen Umbau- und Erweiterungsarbeiten pünktlich zu Cézannes Jubeljahr seine Pforten. Schon jetzt gilt diese einzigartige Ausstellung als Besuchermagnet, vereinigt sie doch fast die Gesamtheit der provenzalischen Werke des Aixer Künstlers. Rund 120 Bilder und Aquarelle aus den renommiertesten internationalen Museen bieten eine seltene Gelegenheit, Cézannes Schaffen an seinem Entstehungsort zu entdecken.
Wer will, kann in Aix-en-Provence auch auf eine besondere Spurensuche gehen, denn Cézanne wurde postum zum Stadtführer: Seit ein paar Jahren markieren bronzene Nägel mit einem großen »C« einen Stadtrundgang, der zu den wichtigsten Lebensstationen des Vaters der modernen Malerei führt. Der Weg führt auch zu seinem einstigen Atelier: Fünf Jahre vor seinem Tod erwarb Cézanne nördlich der Stadt ein Anwesen, um sich nach eigenen Plänen ein Haus samt Atelier errichten zu lassen. Die Lage am Chemin de Lauves war gut gewählt, konnte Cézanne seine geliebte Montagne Sainte-Victoire in kürzester Zeit erreichen. Das von einem zugewucherten Garten umgebene Haus wurde weitgehend im Originalzustand belassen und später der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Das Atelier selbst ähnelt mit den ausgestellten Malerutensilien einem Stilleben.
Erstmals ist in diesem Jahr auch Cézannes Elterhaus im Quartier du Jas de Bouffan für Besucher zugänglich. Der provenzalische Landsitz aus dem 17. Jahrhundert mit seinem Baumpark gilt als ein mythischer Ort, denn schließlich hat Cézanne hier 40 Jahre seines Lebens gewohnt und in einem Atelier unter dem Dach gemalt.
Nicht versäumen sollte man aber auch einen ausgedehnten Bummel durch die Straßen und Gassen von Aix. »Wer hier geboren wurde, ist verloren. Nichts anderes gefällt einem mehr«, soll Cézanne gesagt haben, und man kann ihm widerspruchslos zustimmen.


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