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Community Building in der Fremde
Verleger Michael Müller über seine neue Heimat Porto

Als Gründer und Geschäftsführer eines erfolgreichen Reisebuchverlags kommt Michael Müller viel in der Welt herum. Erst recht, weil er nicht nur Verleger, sondern auch Autor von Reiseführern ist. Zum Beispiel erschien unlängst sein Toskana-Reisehandbuch bereits in der 20. Auflage! Über Portugal hat er sogar vier Bücher geschrieben. Auf der Iberischen Halbinsel gefiel es ihm so gut, dass er Porto zu seiner zweiten Heimat gewählt hat. Zur Ruhe setzen will sich der Verleger jedoch nicht. Im Gegenteil: Wie Michael Müller das Kunststück schafft, in Portugal zu leben und gleichzeitig für den Verlag tätig zu sein, lesen Sie hier.

Seit drei Jahren lebe ich in Porto, meiner neuen „Heimat“, aber von Alltagsroutine kann keine Rede sein. Normalerweise genießen diejenigen, die den Lebensmittelpunkt nach Portugal verlagern, hier ihren Ruhestand. Es gibt aber auch andere – junge Aussteiger und digitale Nomaden aus aller Herren Länder – die hier etwas aufbauen wollen oder mit Laptop und guter Internetverbindung beruflichen Projekten nachgehen. Mit anderen Worten: Das kleine Land im Westen Europas ist ein inspirierender Schmelztiegel unterschiedlicher Menschen und Kulturen!

Community Building in der WG ...
Community Building in der WG ...

Die Welt am Atlantik ist kunterbunt

Die ersten beiden Jahre wohnte ich in einer Zweier-WG in Porto. Mein Mitbewohner hieß Erwin und stammte aus Belgien. Erwin arbeitete jahrelang als Sprachlehrer und Computer-Instruktor. In Belgien hielt es ihn jedoch nicht lange: Nach häufig wechselnden Lebensmittelpunkten in Südeuropa lebte er 15 Jahre in Dublin, bevor er sich in Portugal verliebte und schließlich hier hängen blieb. Als geselliger Typ fiel es ihm nicht schwer, mit der Zeit eine kleine Fangemeinde um sich zu scharen, in der ich dann auch meinen Platz fand. Zur vielschichtigen Community trugen auch nicht wenige US-Amerikaner bei, die vor dem Präsidenten Donald Trump über den Atlantik geflüchtet waren. In Portugal gefiel es ihnen so gut, dass einige von ihnen die portugiesische Staatsbürgerschaft beantragt haben.

Ein paar Zufallsbegegnungen sorgten dafür, dass mir diese Leute sehr sympathisch wurden: Beispielsweise saßen mir gegenüber im Zug nach Lissabon zwei Frauen, Mutter und Tochter, aus Chicago. Sie waren auf einer 10-tägigen Rundreise durch Portugal und zeigten sich begeistert von Land und Leuten. Auf der anderen Seite des Gangs saß ein junger Mann mit Sascha-Lobo-Punkfrisur, der unserem Gespräch zu lauschen schien. Er, offensichtlich auch ein Amerikaner, fühlte sich genötigt, sich mit einem lauten "Fuck America, Fuck Trump" Luft zu verschaffen.

Community Building in der Stadt
... und draußen in der Stadt.

Auf der Suche nach Geselligkeit

Nach rund vierzig Jahren als Reisebuchautor blicke ich auf unzählige Recherchereisen nach Italien und Portugal zurück. Die Reisen dauerten meist nur zwei Monate, und in solchen Phasen lebte ich praktisch aus dem Koffer. Zur Alltagserfahrung als Reisebuchautor unterwegs gehörten auch die Abende allein am Tisch im Restaurant. Wie die meisten meiner Kollegen bin ich bevorzugt inkognito unterwegs, weshalb Reisebuchrecherche grundsätzlich ein einsamer Job ist. Als ich jedoch Porto als Standort wählte, um von hier aus für die Neuauflagen meiner Portugal Reiseführer zu recherchieren, wollte ich den Status des „Poor lonesome Cowboy“ schnell hinter mir lassen. Denn meiner Ansicht nach sind die Menschen nicht dafür geschaffen, längere Zeit in sozialer Isolation zu verbringen. Aus diesem Grund hatte ich mir in Porto eine Wohngemeinschaft gesucht und war ganz glücklich über die Einbindung in das soziale Netzwerk meines Mitbewohners Erwin.

Das Goethe-Institut in Porto
Das Goethe-Institut in Porto – Foto: Michael Müller

Weitere Bekannte und Freunde lernte ich im Kaffeehaus kennen: Als digitaler Nomade mit Laptop und vielen Büchern nehme ich notgedrungen einen Tisch für mich allein in Anspruch, bin jedoch hocherfreut, wenn sich andere Menschen dazusetzen: Daraus kann sich eventuell etwas Neues ergeben. Eine weitere Strategie für erfolgreiches Community Building in der Fremde sind Beteiligungen an Online-Netzwerken auf Basis von Apps wie Meetup oder Internations. In Porto gibt es viele lokale Gruppen, in denen man auf Gleichgesinnte trifft. Auch Veranstaltungen des Goethe-Instituts bieten die Chance, Freundschaften zu schließen.

Konflikte um moderne Nomaden

Niedrige Lebenshaltungskosten sowie stabile Internetverbindungen gehören zu den Hauptgründen, warum sich die international geprägte Community in Portugal denkbar wohlfühlt. Hinzu kommen die bekannten Vorzüge des Landes: Menschen, Klima, Essen und das Meer vor der Haustüre. Genannte Faktoren führten dazu, dass Städte wie Lissabon und Porto heute auf den vordersten Plätzen der „Nomad List“ zu finden sind – dem Ranking der besten Orte für digitale Nomaden.

Porto: eine liebens- und lebenswerte Stadt
Porto: eine liebens- und lebenswerte Stadt – Foto: Michael Müller

Der Erfolg erweist sich jedoch als zweischneidiges Schwert, denn es droht die Entstehung einer Zweiklassengesellschaft mit gutverdienenden Ausländern auf der einen und einem Großteil der Portugiesen auf der anderen Seite, die sich die steigenden Mieten in den beiden Metropolen kaum noch leisten können. Medien wie SPIEGEL oder FAZ berichteten bereits über das Phänomen und sparten dabei nicht mit Kritik am Lebensmodell der Digital Nomads. Andererseits darf man nicht vergessen, dass vor dem Tourismus-Boom in Portugal zahlreiche Häuser in den Altstädten leer standen und verfielen. Auch sollte daran erinnert werden, dass die Regierung durch Steuervorteile in den letzten Jahren gezielt ausländische Fachkräfte angeworben hat, um die eigene Wirtschaft zu stärken.

Sonnenuntergang am Jardim do Morro
Sonnenuntergang am Jardim do Morro – Foto: Michael Müller

Der Reiseführer der Zukunft

Als Autor arbeite ich von meinem neuen Lebensmittelpunkt in Porto aus an den Neuauflagen meiner Bücher. Darüber hinaus bin ich Geschäftsführer des vor über vierzig Jahren von mir gegründeten Reisebuchverlags, auch wenn das operative Tagesgeschäft längst in anderen Händen liegt. Gegenwärtig unterliegt unsere Wirtschafts- und Arbeitswelt tiefgreifenden Veränderungen durch die digitale Revolution. Die digitalen Nomaden, wie von mir beschrieben, gäbe es ohne diese Revolution nicht. Aber auch der herkömmliche Buchmarkt gerät mit dem Siegeszug der digitalen Medien immer mehr unter Druck – eine Herausforderung, der ich mich als Verleger stellen muss.

Reiseführer der Zukunft: die mmtravel App »Northern Portugal«
Reiseführer der Zukunft: die mmtravel App »Northern Portugal« – Foto: Michael Müller

Weil ich Innovationen schon immer aufgeschlossen begegnet bin, macht es mir große Freude, mich mit der Zukunft des Reiseführers zu befassen. Daher ist es auch kein Zufall, dass wir uns bereits vor vielen Jahren entschlossen haben, jedem gedruckten Reiseführer eine kostenlose App beizufügen, die smartes Reisen mit leichtem Gepäck ermöglicht. Für knapp ein Viertel unserer Bücher existiert bereits eine digitale Version. Im nächsten großen Schritt werden wir unsere Reise-Apps auf Englisch und in weiteren Sprachen produzieren. Was mich persönlich freut: Meinen Reiseführer über Nordportugal gibt es in der App-Variante bereits auf Englisch. Algarve und Lissabon folgen im Sommer!

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