Auf Recherche

Mit Diktiergerät und Maske
Eine Südfrankreich-Recherche in Corona-Zeiten

Während des Lockdowns überlegten nicht nur wir, sondern auch unsere Autorinnen und Autoren, ob wir denn überhaupt noch eine Existenzberechtigung haben. Reiseführer zu verkaufen war in etwa so, als würde man Sonnenschirme in der Antarktis anbieten. Zumal Recherchereisen nicht möglich waren und die Bücher scharenweise aus den Buchhandlungen in den Verlag zurückkamen. Nun versuchen wir alle mit diesem Virus umzugehen. Wie das konkret aussieht, erzählt der Frankreichkenner und Romanautor Ralf Nestmeyer, der im Languedoc-Roussillon für die 9. Auflage 2021 unterwegs war.


Corona hat unseren Alltag und unser gesamtes Leben in den letzten Monaten stark beeinflusst und mehr oder weniger durcheinander gewirbelt. Zu den am stärksten betroffenen Wirtschaftszweigen gehört die Reisebranche. Die Existenzberechtigung von Reiseführerverlagen und Reisejournalisten wurde von einem auf den anderen Tag in Frage gestellt. In den Buchhandlungen hatte man im April den Eindruck, dass die Reiseführerabteilung in Zukunft zum Subgenre der Science-Fiction-Literatur gehören würde …

Wohin soll ich denn?

Recherche heute, Ralf Nestmeyer unterwegs in Languedoc-Roussillon (Foto: Ralf Nestmeyer)
Recherche heute, Ralf Nestmeyer unterwegs in Languedoc-Roussillon (Foto: Ralf Nestmeyer)

Erst nach Wochen und Monaten der Schockstarre wurden langsam wieder die Fühler ausgestreckt, um wenigstens teilweise zur gewohnten Arbeit- und Lebensweise zurückzukehren. Was in meinem Fall bedeutete, dass ich – so wie sich die Tiere nach dem Winterschlaf erst vorsichtig an ihre Umgebung gewöhnen – im Juni von meinem Nürnberger Wohnort aus aufbrach, um meinen Franken-Reiseführer zu aktualisieren: nicht Mont Ventoux oder Perpignan, aber immerhin standen das Walberla und Bamberg auf dem Programm.
Trotz ihrer zweifellos vorhandenen Schönheit konnte die fränkische Landschaft zwischen Spessart, Fichtelgebirge und Altmühltal meine Unruhe nur kurzzeitig mildern. Das Fernweh blieb ungestillt! Ungeduldig scharrte ich unter dem Schreibtisch mit den Füßen und wartete auf ein Zeichen von der Verlagsredaktion, welche Auslandstitel angesichts der Krise als Neuerscheinung für das kommende Frühjahr geplant sind. Erleichtert nahm ich zur Kenntnis, dass auch mein Languedoc-Roussillon-Reiseführer zu den Büchern gehört, die im Frühjahr in einer neuen Auflage in die Buchhandlungen kommen sollen. Nicht nur deutsche Regionen, sondern auch bodennahe Reisen in die Nachbarländer liegen derzeit bekanntlich im Trend.

Die Requisiten des Recherchealltags

Der gute Umgang der Franzosen mit dem Virus (Foto: Ralf Nestmeyer)
Der gute Umgang der Franzosen mit dem Virus (Foto: Ralf Nestmeyer)

Elanvoll begann ich mit den Planungen meiner Recherchereise ins Languedoc-Roussillon. Erfahrungsgemäß wollte ich noch das Ende der französischen Schulferien abwarten, da die Mittelmeerküste zu den beliebtesten Ferienregionen gehört und im August entsprechend gut besucht ist. Doch je näher der Termin meiner geplanten Abreise rückte, desto stärker stiegen die französischen Infektionszahlen. Etwas beunruhigt und angespannt verfolgte ich die Meldungen der Gesundheitsbehörden. Selbst mein persönliches Umfeld begegnete meinen Reiseplänen auf einmal mit Skepsis. Doch ich ließ mich nicht beirren und brach Anfang September nach Südfrankreich auf – eine Entscheidung, die ich bisher keinen Augenblick bereut habe.
Der Midi empfing mich mit seiner heiteren lichtdurchfluteten Atmosphäre. Das französische Savoir-Vivre hüllte mich ein, wobei mir schnell klar wurde, dass »Le masque« in meinem Recherchealltag eine größere Rolle als in Deutschland spielen würde. Nicht nur mein Diktiergerät, sondern auch meine Maske wurde zu einem unverzichtbaren Requisit meiner Tour – und zwar nicht nur im Supermarkt oder an der Hotelrezeption. Als ich am ersten Tag in Villeneuve-lès-Avignon über den großen Donnerstagsmarkt schlendern wollte, bemerkte ich, dass jeder Verkäufer und jeder Kunde eine Maske trug. Und im nahen Uzès mit seinem wunderbaren von Arkaden gesäumten Marktplatz darf man die gesamte Altstadt nur mit Maske betreten – was bei Temperaturen von über 30 Grad zugegebenermaßen wenig Spaß bereitet. Bei Verstößen gegen die Maskenpflicht droht in Frankreich eine Geldstrafe in Höhe von 135 Euro. Dabei gehen die Franzosen sehr umsichtig mit dem Thema um, wahren den Abstand und versuchen möglichst viel Normalität in ihrem Alltag zu leben.

Risikogebiet trotz niedriger Infektionszahlen

So leer war Carcassonne noch nie … (Foto: Ralf Nestmeyer)
So leer war Carcassonne noch nie … (Foto: Ralf Nestmeyer)

Glücklicherweise herrscht in den Dörfern und Kleinstädten der Region keinerlei Maskenpflicht – außer im Lebensmittelgeschäft und beim Einkaufen generell. Egal, ob bei einer Kanutour auf dem Tarn oder einer Wanderung in den Cevennen durch das »Chaos de Nimes-le-Vieux« mit seinen ungewöhnlichen Steinformationen – die Recherche unterschied sich trotz Corona nicht wesentlich von früheren Reisen.
Zu meiner Überraschung erhielt ich gerade just im Lozère, das zu den bevölkerungsärmsten Départements Frankreich gehört und sehr niedrige Infektionszahlen aufweist, die Nachricht, dass die gesamte Region Okzitanien, und damit auch das Languedoc-Roussillon, vom Robert-Koch-Institut zum Risikogebiet erklärt wurde. Diese Einstufung bedeutet in touristischer Hinsicht den Todeskuss. Und obwohl das Reisen im eigenen Auto vollkommen unkompliziert ist, hatte ich den Eindruck, dass ich in den nächsten Tagen kaum mehr deutsche Kennzeichen auf den Straßen sah. Hoteliers und Gastronomen begegnen deutschen Reisenden andererseits mit wachsender Freundlichkeit, gehört man in diesen Zeiten doch zu einer geradezu exotischen Spezies. Dank der sommerlichen Temperaturen kann man die französische Küche noch abends unter freiem Himmel mit Abstand bedenkenlos genießen.

Menschenleere Gassen und mein Lieblingsrestaurant

Und es gibt weitere positive Effekte: Noch nie in meinem Leben habe ich die Gassen der Cité von Carcassonne so menschenleer gesehen. Nicht die Menschen als Masse schieben sich durch die Altstadt, vielmehr kann man in einer luftigen Atmosphäre den Blick auf architektonische Details richten, die man sonst leicht einmal übersieht. Dies verleitete mich zu der Annahme, eine abendliche Tischreservierung in meinem Lieblingsrestaurant in der Altstadt sei überflüssig – was sich aber leider als Trugschluss herausstellen sollte …

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